Die verborgene Wirklichkeit
Massendichte als Werkzeug zur kosmischen Zeitmessung nutzen. Und da diese Veränderung überall im Raum gleich abgelaufen ist, kann man dieses Werkzeug in unserem gesamten Blasenuniversum zur Zeitmessung verwenden. Wenn alle ihre Uhren sorgfältig nach der durchschnittlichen Massendichte stellen (und sie nach Expeditionen zu Schwarzen Löchern oder einer Reise mit nahezu Lichtgeschwindigkeit jeweils aufs Neue stellen), ist die Synchronisierung unserer Zeitmesser über das gesamte Blasenuniversum hinweg gewährleistet. Wenn wir vom Alter des Universums sprechen – womit wir das Alter unserer Blase meinen –, stellen wir uns vor, dass die abgelaufene Zeit mithilfe solcher kosmisch geeichten Uhren gemessen wird; nur in Bezug auf diese Uhren ist die kosmische Zeit ein sinnvoller Begriff.
Die gleichen Überlegungen galten auch in der frühesten Epoche unseres Blasenuniversums, allerdings mit einer kleinen Abwandlung. Die gewöhnliche Materie hatte sich noch nicht gebildet, und deshalb können wir nicht von einer durchschnittlichen Massendichte reden. Stattdessen trug das Inflatonfeld den gesamten Energievorrat unseres Universums in sich – Energie, die sich kurz darauf in die vertrauten Teilchen verwandeln sollte; wir müssen uns also vorstellen, dass wir die Uhr an der Energiedichte des Inflatonfelds auszurichten haben.
Nun wird die Energie des Inflatons aber ihrerseits durch den Wert des Inflatonfelds bestimmt – den genauen Zusammenhang können wir auf der einige Abschnitte zuvor gezeigten Potenzialkurve ablesen. Um an einem bestimmten Ort in unserem Blasenuniversum die Zeit abzulesen, müssen wir also den Wert des Inflatonfelds an diesem Ort in Erfahrung bringen. Und wie zwei Bäume das gleiche Alter haben, wenn sie die gleiche Zahl von Baumringen aufweisen, und wie zwei Proben von Gletschersediment gleich alt sind, wenn sie den gleichen Prozentsatz an radioaktivem Kohlenstoff enthalten, so durchlaufen auch zwei Orte im Raum in dem Moment den gleichen Zeitpunkt, wenn das Inflatonfeld an beiden Orten den gleichen Wert hat . Auf diese Weise können wir die Uhren in unserem Blasenuniversum stellen und synchronisieren.
Dass ich all diese Überlegungen hier anführe, hat einen Grund: Wenn man sie auf den Schweizer Käse des inflationären Multiversums anwendet, führen sie zu einer verblüffenden, der Intuition widersprechenden Folgerung. Ganz ähnlich wie Hamlet in seinem berühmten Ausspruch »ich könnte in eine Nussschale eingeschlossen sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten«, so scheint auch jedes Blasenuniversum eine endliche räumliche Ausdehnung
zu haben, wenn man es von außen betrachtet, bei Betrachtung von innen jedoch scheint seine räumliche Ausdehnung unendlich zu sein. Das ist eine erstaunliche Erkenntnis. Unendliche räumliche Ausdehnung ist genau das, was wir für Patchwork-Paralleluniversen brauchen. So fügt sich das Patchwork-Multiversum nahtlos in die Geschichte der kosmischen Inflation ein.
Die extreme Diskrepanz zwischen der Sichtweise von außen und der innen kommt dadurch zustande, dass beiden ein völlig unterschiedlicher Zeitbegriff zugrunde liegt. Diese Aussage liegt zwar durchaus nicht auf der Hand, wie wir aber jetzt erfahren werden, erscheint das, was für den Außenstehenden endlose Zeit zu sein scheint, dem inneren Beobachter zu jedem Zeitpunkt als endloser Raum . 12
Raum im Blasenuniversum
Um zu begreifen, wie es dazu kommt, stellen wir uns einmal Folgendes vor: Marge schwebt in einer vom Inflaton erfüllten Raumregion, die schnell expandiert, und sieht zu, wie in der Nähe ein Blasenuniversum entsteht. Sie richtet ihr Inflaton-Meter auf die wachsende Blase und kann so unmittelbar verfolgen, wie sich der Wert des Feldes verändert. Die Region – das Loch im kosmischen Käse – ist zwar dreidimensional, einfacher ist es aber, sich auf einen eindimensionalen Querschnitt zu beschränken, der mitten durch die Blase, also genau entlang des Durchmessers, führt. Das tut Marge, dokumentiert die Werte des Inflatonfelds entlang dieser Linie und zeichnet dabei die in Abbildung 3.8(a) wiedergegebenen Daten auf. Die Reihen zeigen von unten nach oben den Wert des Inflatons zu aufeinanderfolgenden Zeitpunkten aus Marges Sicht. Wie man an der Abbildung erkennt, sieht Marge zu, wie das Blasenuniversum – das in der Abbildung durch die helleren Stellen mit einem niedrigeren Wert des Inflatons dargestellt ist – immer größer wird.
Nun stellen wir uns vor,
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