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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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Sie verwerfen die Theorie. In den siebziger Jahren glaubten tatsächlich viele, dies sei im Zusammenhang mit den Strings das Beste. Aber die wenigen Forscher, die Kurs hielten, fanden schließlich einen anderen Ausweg.
    Es war eine atemberaubende Entwicklung: Man entdeckte, dass die Probleme der Stringtheorie direkt mit der Zahl der Raumdimensionen verknüpft sind. Die Berechnungen zeigten, dass man die problematischen Eigenschaften in den Gleichungen der Stringtheorie bereinigen kann, wenn das Universum mehr als die drei Dimensionen unserer Alltagserfahrung hat – mehr als das vertraute links/rechts, vorne/hinten und oben/unten. Genauer gesagt: In einem Universum mit neun Raumdimensionen und einer Zeitdimension funktionieren die Gleichungen der Stringtheorie völlig problemlos.
    Ich würde gerne völlig ohne Fachbegriffe erklären, warum das so ist, aber dazu bin ich nicht in der Lage, und mir ist auch noch nie jemand begegnet, der es könnte. Einen Versuch habe ich in Das elegante Universum unternommen; dort beschreibe ich in allgemeinen Begriffen, wie die Zahl der Dimensionen sich auf bestimmte Aspekte der Stringschwingungen auswirkt, aber damit ist noch nicht erklärt, warum es gerade zu der Zahl zehn kommt. Deshalb möchte ich hier zumindest auf einer etwas abstrakteren Ebene beschreiben, wie die Rettungsaktion vor sich geht. In der Stringtheorie gibt es eine Gleichung mit einem Ausdruck der Form ( D – 10) mal ( Problem ); darin ist D die Zahl der Raumzeitdimensionen und Problem ein mathematischer Ausdruck, der zu problematischen physikalischen Phänomenen führt, beispielsweise zu der oben erwähnten Verletzung des Energieerhaltungsgesetzes. Auf die Frage, warum die Gleichung gerade diese Form hat, kann ich keine intuitive, nicht fachliche Antwort geben. Wenn man aber die Berechnungen anstellt, führen sie zu solch einem Ausdruck. Demnach lautet die einfache, aber entscheidende Beobachtung: Wenn die Zahl der Raumzeitdimensionen nicht bei vier liegt, wie wir erwarten, sondern bei zehn, wird der Ausdruck zu null mal (Problem) . Und da alles, was man mit null multipliziert, ebenfalls zu null wird, ist das Problem in einem Universum mit zehn Raumzeitdimensionen verschwunden. Das ist der Schluss, den man aus den betreffenden mathematischen Ausdrücken ziehen kann. Und deswegen argumentieren die Stringtheoretiker, das Universum besitze mehr als vier Raumzeitdimensionen.
    Aber ganz gleich, wie aufgeschlossen man der Möglichkeit, den von der Mathematik vorgezeichneten Weg zu verfolgen, gegenübersteht: Wer noch nie mit
dem Gedanken an zusätzliche Dimensionen zu tun hatte, dem erscheint diese Option in jedem Fall verschroben. Raumdimensionen gehen nicht verloren wie Autoschlüssel oder ein Strumpf von unserem Lieblingspaar. Wenn es im Universum mehr gäbe als Länge, Breite und Höhe, wäre das doch sicher schon einmal jemandem aufgefallen. Nun, nicht unbedingt. Schon in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts legten der deutsche Mathematiker Theodor Kaluza und der schwedische Physiker Oskar Klein in einer weitsichtigen Artikelserie die Vermutung nahe, es könne Dimensionen geben, die dem Nachweis geschickt entgehen. In ihren Arbeiten stellten sie sich vor, es könne neben den vertrauten Raumdimensionen, die sich über große und möglicherweise unendliche Entfernungen erstrecken, auch andere geben, die winzig klein zusammengerollt sind, so eng, dass man sie kaum erkennen kann.
    Um sich das bildlich vorzustellen, kann man an einen gewöhnlichen Trinkhalm denken. Für unsere Zwecke wandle ich ihn allerdings auf ungewöhnliche Weise ab: Ich stelle mir vor, dass er so dünn wie üblich ist, aber so lang wie das Empire State Building hoch ist. Die Oberfläche dieses langen Strohhalms hat (wie die jedes Strohhalms) zwei Dimensionen: Eine ist die lange, senkrechte Dimension, die andere ist kurz, kreisförmig und um den Trinkhalm gewickelt. Nun stellen wir uns vor, wir würden den langen Strohhalm wie in Abbildung 4.4(a) vom gegenüberliegenden Ufer des Hudson aus betrachten. Da er so dünn ist, sieht er aus wie eine senkrechte Linie, die sich vom Boden bis in den Himmel erstreckt. Auf diese Entfernung reicht unsere Sehschärfe nicht aus, um die winzige, kreisförmige Dimension des Halmes zu erkennen, obwohl sie an jeder Stelle seiner langen, senkrechten Ausdehnung vorhanden ist. Deshalb können wir fälschlich zu der Ansicht gelangen, die Oberfläche des Trinkhalmes sei nicht zwei-, sondern eindimensional.

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