Die verborgene Wirklichkeit
die zusätzlichen Dimensionen der Stringtheorie ungefähr die Planck-Größe haben, das heißt einen Radius von rund 10 – 35 Metern; für eine Theorie, die sowohl die Gravitation als auch die Quantenmechanik einschließt, ist dies die natürliche Größenskala. Das Branwelt-Szenario dagegen ermutigt zum Denken auf größeren Skalen. Wenn Gravitation – die schwächste aller Kräfte – unser einziges Mittel zur Erforschung des Bereichs jenseits der drei vertrauten Dimensionen darstellt, könnten die zusätzlichen Dimensionen beträchtlich größere Ausmaße haben und trotzdem der Entdeckung entgangen sein. Jedenfalls bisher.
Wenn die zusätzlichen Dimensionen existieren und wenn sie viel größer sind, als man zuvor geglaubt hatte – vielleicht hundert Milliarden Milliarden Milliarden Mal größer (Durchmesser rund ein Tausendstel Millimeter) –, hat man mit Experimenten zur Messung der Gravitation, wie sie in dem zweiten Eintrag in Tabelle 4.1 beschrieben wurden, eine Chance, sie zu entdecken. Wenn Objekte sich durch Gravitation anziehen, tauschen sie Ströme von Gravitonen aus; die Gravitonen sind unsichtbare Botschafter, die den Einfluss der Gravitation übermitteln. Je mehr Gravitonen die Objekte austauschen, desto stärker ist ihre gegenseitige Gravitationsanziehung. Wenn einige dieser strömenden Gravitonen unsere Bran verlassen und in die zusätzlichen Dimensionen entkommen, wird die Gravitationsanziehung zwischen den Objekten »verdünnt«. Diese Verdünnung ist umso stärker, je größer die zusätzlichen Dimensionen sind, und entsprechend schwächer macht sich dann die Gravitation bemerkbar. Wenn man sorgfältig die Gravitationsanziehung zwischen zwei Objekten misst, die man auf einen Abstand zusammengebracht hat, der kleiner ist als die Größe der Extradimensionen, sollte man die Gravitonen nach den Vorstellungen der Experimentalphysiker abfangen können, bevor sie unsere Bran verlassen; wenn das stimmt, sollte man eine proportional stärkere Gravitation messen, als in drei Dimensionen zu erwarten ist. Ich habe es zwar in Kapitel 4 nicht erwähnt, aber dieser Ansatz zur Entlarvung der zusätzlichen Dimensionen stützt sich auf das Branwelt-Szenario.
Schon bei einer vergleichsweise bescheidenen Größenzunahme der zusätzlichen Dimensionen auf einen Durchmesser von nur 10 – 20 Meter würden sie potenziell für den Teilchenbeschleuniger LHC zugänglich. Wie ich in dem dritten Eintrag in Tabelle 4.1 erwähnt habe, können energiereiche Zusammenstöße zwischen Protonen dazu führen, dass »Bruchstücke« in die zusätzlichen Dimensionen geschleudert werden, was in unseren Dimensionen zu einem scheinbaren Energieverlust führt, den man möglicherweise nachweisen kann. Auch dieses Experiment stützt sich auf das Branwelt-Szenario. Experimentelle Befunde, die auf fehlende Energie schließen lassen, könnte man mit dem Postulat erklären, dass unser Universum auf einer Bran existiert und dass »Bruchstücke«, die diese Bran verlassen können – Gravitonen – die Energie mitgenommen haben.
Ein weiteres Nebenprodukt der Branwelt ist die Aussicht auf Schwarze Mini-Löcher, den vierten Eintrag in Tabelle 4.1 . Mit dem LHC besteht nur dann die Chance, durch Kollision von Protonen winzig kleine Schwarze Löcher entstehen zu lassen, wenn die intrinsische Stärke der Gravitation, über kurze Entfernungen gemessen, stark ansteigt. Auch diese Möglichkeit wird erst durch das Branwelt-Szenario geschaffen.
Die Details lassen diese drei Experimente in einem neuen Licht erscheinen. Man sucht damit nicht nur Indizien für exotische Strukturen wie zusätzliche Raumdimensionen und winzige Schwarze Löcher, sondern es geht auch um Belege dafür, dass wir auf einer Bran leben. Ein positiver Befund wäre entsprechend nicht nur ein stichhaltiges Argument für das Branwelt-Szenario der Stringtheorie, sondern es würde auch indirekte Hinweise auf Universen jenseits unseres eigenen liefern. Wenn wir nachweisen können, dass wir auf einer Bran leben, haben wir mathematisch gesehen keinen Anlass zu der Annahme, unsere Bran wäre die einzige.
Zeit, Zyklen und das Multiversum
Die Multiversen, die wir bisher kennengelernt haben, unterscheiden sich zwar im Detail, ihnen ist jedoch ein grundlegendes Merkmal gemeinsam. Im Patchwork-, inflationären und Branen-Multiversum befinden sich die anderen Universen »da draußen« im Raum. Für das Patchwork-Multiversum bedeutet »da draußen« weit weg im alltäglichen Sinn; im
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