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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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Beobachtungen, die klare Belege dafür lieferten, dass sich die Bedingungen in früheren Epochen deutlich von denen, die wir heute erleben, unterscheiden. Am aussagekräftigsten waren dabei Beobachtungen, die sich an die Frühphase des Weltalls herantasteten: Damals war der Kosmos keineswegs so gesetzt und leer wie heute, sondern extrem heiß und chaotisch. Der Urknall untergräbt alle Träume von einem im Großen und Ganzen unveränderlichen Weltall und rückt die Frage nach dem Ursprung wieder in den Mittelpunkt. An dieser Stelle bieten zyklische
kosmologische Modelle eine überzeugende Alternative. Jeder Zyklus kann schließlich eine Vergangenheit in Form eines Urknalls enthalten, wie sie uns die astronomischen Befunde zeigen. Aber indem die Theorie andererseits eine unendliche Anzahl von Zyklen aneinanderreiht, vermeidet sie es, Aussagen über einen ersten Anfang treffen zu müssen. Zyklische kosmologische Modelle, so scheint es, verbinden also die attraktivsten Aspekte der Steady-State-Theorie mit den Urknallmodellen.
    In den fünfziger Jahren machte der niederländische Astrophysiker Herman Zanstra dann freilich auf einen problematischen Aspekt der zyklischen Modelle aufmerksam, der rückblickend bereits in Tolmans Analyse einige Jahrzehnte zuvor enthalten war, ohne dass Tolman dies erkannt hätte. Wie Zanstra nachweisen konnte, kann es keine unendliche Zahl von Zyklen vor unserem eigenen gegeben haben. Der Haken in den kosmologischen Arbeiten war der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, ein Naturgesetz, mit dem wir uns in Kapitel 9 genauer beschäftigen werden. Er besagt, dass die Unordnung – die Entropie  – im Laufe der Zeit zunimmt. Das erleben wir jeden Tag. So aufgeräumt die Küche morgens auch sein mag, sie schafft es immer wieder, bis zum Abend unordentlich zu sein; das Gleiche gilt für Wäschekörbe, Schreibtische und Kinderzimmer. In diesem alltäglichen Umfeld ist die Zunahme der Entropie nur lästig; in der zyklischen Kosmologie dagegen spielt sie eine zentrale Rolle. Wie Tolman bereits erkannt hatte, stellen die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie einen Zusammenhang zwischen dem Entropiegehalt des Universums und der Dauer eines bestimmten Zyklus her. Mehr Entropie bedeutet, dass mehr ungeordnete Partikel zusammengequetscht werden, wenn das Universum schrumpft; dies schafft ein wuchtigeres Zurückprallen, der Raum expandiert entsprechend weiter, und der Zyklus dauert länger. Wenn wir von heute aus zurückblicken, besagt der Zweite Hauptsatz, dass immer frühere Zyklen immer weniger Entropie beinhalten mussten (da die Entropie dem Zweiten Hauptsatz zufolge mit der Zeit, also in Richtung auf die Zukunft, zunimmt, muss sie rückblickend, in Richtung der Vergangenheit, abnehmen), o und demnach müssen diese früheren Zyklen von immer kürzerer Dauer gewesen sein. Zanstra analysierte das Thema mathematisch und zeigte, dass man in der Zeit nur weit genug zurückgehen muss, damit die Zyklen so kurz werden, dass sie irgendwann ganz aufhören. Demnach muss es doch einen Anfang gegeben haben.

    Steinhardt und Co. behaupten, sie würden diesen Fallstrick mit ihrer neuen Version des zyklisch-kosmologischen Modells umgehen. In ihrem Ansatz ergeben sich die Zyklen nicht daraus, dass das Universum expandiert, sich zusammenzieht und erneut expandiert, sondern aus der Trennung zwischen Branwelten, die expandieren, sich zusammenziehen und erneut expandieren. Die Branen selbst dagegen expandieren ständig – und zwar während jedes einzelnen Zyklus. Damit nimmt die Entropie von einem Zyklus zum nächsten zu, wie es der Zweite Hauptsatz verlangt, aber da die Branen expandieren, verteilt sich die Entropie auf ein immer größeres räumliches Volumen. Die Gesamtentropie steigt, doch die Entropie dichte sinkt. Am Ende jedes einzelnen Zyklus ist die Entropie so stark verdünnt, dass ihre Dichte bis auf nahezu null sinkt – ein vollständiger Neubeginn. Im Gegensatz zu dem von Tolman und Zanstra analysierten Szenario können sich die Zyklen demnach sehr wohl sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit unendlich fortsetzen. Das zyklische Branwelt-Multiversum kommt ohne Anfangszeitpunkt aus. 8
    Ein uraltes Dilemma zu umgehen, ist das Tüpfelchen auf dem i des zyklischen Universums. Aber wie seine Fürsprecher immer wieder betonen, erschöpft sich die Theorie des zyklischen Multiversums nicht in der Aufklärung kosmologischer Rätsel; sie trifft auch eine ganz gezielte Vorhersage, durch die sie

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