Die verborgene Wirklichkeit
Tod – auf ungefähr eine Billion Jahre. In diesem Szenario wäre das Universum, wie wir es kennen, nur das bislang letzte in einer langen zeitlichen Abfolge; manche seiner Vorgänger könnten ebenfalls intelligente Lebewesen und die von ihnen geschaffene Kultur beherbergt haben, diese wären aber schon vor langer Zeit ausgestorben. Auf ganz ähnliche Weise würden auch alle unsere Beiträge und die aller anderen Lebensformen, die in unserem Universum beheimatet sind, zu gegebener Zeit ausgelöscht.
Vergangenheit und Zukunft zyklischer Universen
Der Branwelt-Ansatz ist zwar die detaillierteste Ausarbeitung, insgesamt haben zyklische kosmologische Modelle aber eine lange Geschichte. Die Rotation der Erde mit ihrem berechenbaren Wechsel von Tag und Nacht wurden ebenso wie ihre Umlaufbahn um die Sonne, die zur immer wiederkehrenden Abfolge der Jahreszeiten führt, zu Vorbildern für Vorstellungen von einem Zyklus, mit dem viele Kulturkreise den Kosmos erklären wollten. Eine der ältesten vorwissenschaftlichen Kosmologien, die hinduistische Tradition, zeichnet einen verschachtelten Komplex aus kosmologischen Zyklen und weiteren Zyklen, die sich je nach Interpretation über Jahrmillionen bis Jahrbillionen hinziehen. Auch abendländische Denker, angefangen bei dem Vorsokratiker und Philosophen Heraklit sowie dem römischen Staatsmann Cicero, entwickelten verschiedene kosmologische Theorien, die von Zyklen ausgehen. Ein Universum, das vom Feuer verzehrt wird und aus den verglühten Scheiten aufs Neue hervorgeht, war unter denen, die sich mit hochfliegenden Fragen wie dem Ursprung des Kosmos beschäftigten, ein beliebtes Szenario. Mit der Ausbreitung des Christentums gewann die Vorstellung von der Schöpfung als einzigartigem, einmaligem Ereignis allmählich die Oberhand, dennoch erregten zyklische Theorien immer wieder einmal Aufmerksamkeit.
In der Naturwissenschaft der Neuzeit waren zyklische Modelle gleich von den ersten kosmologischen Anwendungen der Allgemeinen Relativitätstheorie an mit von der Partie. Alexander Friedmann stellte in einem populären, 1923 in Russland erschienenen Buch fest, einige seiner kosmologischen Lösungen für
Einsteins Gravitationsgleichungen ließen auf ein oszillierendes Universum schließen, das expandiert, eine maximale Größe erreicht, sich zusammenzieht und auf einen »Punkt« zusammenschrumpft, bevor womöglich eine neue Expansion beginnt. 7 Im Jahr 1931 beschäftigte sich auch Einstein selbst, der seine Vorstellung von einem unveränderlichen Kosmos mittlerweile fallen gelassen hatte, mit der Möglichkeit eines oszillierenden Universums. Die umfassendste Behandlung des Themas erschien in einer Reihe von Aufsätzen, die Richard Tolman vom California Institute of Technology zwischen 1931 und 1934 veröffentlichte. Tolman unterzog zyklische kosmologische Modelle einer gründlichen mathematischen Untersuchung und gab damit (bis in die jüngste Zeit) den Anstoß zu einer Fülle weiterer Studien, die häufig in den Hinterzimmern der Physik verborgen blieben, manchmal aber auch größere Aufmerksamkeit fanden.
Zyklische kosmologische Modelle haben unter anderem deswegen ihren Reiz, weil man mit ihrer Hilfe offenbar die heikle Frage vermeiden kann, wie das Universum seinen Anfang nahm. Wenn das Universum einen Zyklus nach dem andern durchmacht und wenn es diese Zyklen immer schon gegeben hat (und vielleicht immer geben wird), umgeht man das Problem eines allerersten Anfangs. Jeder Zyklus hat seinen eigenen Anfang, doch die Theorie liefert für jeden dieser Anfänge einen konkreten physikalischen Grund: das Ende des vorherigen Zyklus. Und wenn man nach dem Anfang des gesamten Zyklus aller Universen fragt, lautet die Antwort ganz einfach: Einen solchen Anfang gab es nicht, weil die Zyklen sich seit Ewigkeiten wiederholen.
In einem gewissen Sinn sind zyklische Modelle also der Versuch, auf allen kosmologischen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. In der Anfangszeit der wissenschaftlichen Kosmologie hatte es mit der sogenannten Steady-State-Theorie noch einen weiteren Versuch gegeben, die Frage nach dem Ursprung des Kosmos zu umgehen: Dieser Theorie zufolge hatte das Universum trotz seiner Expansion keinen Anfang, denn wenn es sich ausdehnt, wird ständig neue Materie erschaffen, die den zusätzlichen Raum ausfüllt; damit ist sichergestellt, dass im Kosmos auf alle Ewigkeit die gleichen Bedingungen herrschen. Die Steady-State-Theorie stand aber im Widerspruch zu astronomischen
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