Die verborgene Wirklichkeit
nachgezeichnet ist – mit demjenigen Wert des Skalenfaktors, der gerade jetzt in der Kartenlegende geschrieben steht, in die zurückgelegte physische Entfernung umrechnen. Das Verfahren macht deutlich, dass es sich bei dem Ergebnis um die Entfernung handelt, die heute zwischen uns und der derzeitigen Position der Noa-Galaxie liegt: Richtig ist die dritte unserer drei Auswahlmöglichkeiten.
Und noch etwas sollte man anmerken: Da das Universum sich ständig weiter ausdehnt, werden auch frühere Abschnitte auf dem Weg eines Photons länger, lange nachdem das Photon dort vorübergerast ist. Würde das Photon im Raum eine Linie ziehen, die seinen Weg wiedergibt, so würde auch die Länge dieser Linie mit der Expansion des Raumes zunehmen. Wenn man den Skalenfaktor zur Zeit der Wahrnehmung auf den gesamten Weg des Lichts anwendet, ist diese gesamte Ausdehnung in der dritten Antwort unmittelbar berücksichtigt. Deshalb ist dies der richtige Ansatz: Wie stark die Intensität des Lichts verdünnt wird, hängt von der Größe der Kugel ab, auf die es heute verteilt ist – und der Radius ist die heutige Länge des Lichtweges inklusive aller nachträglichen Dehnungen. 5
Wenn wir also die absolute Helligkeit einer Supernova mit ihrer scheinbaren Helligkeit vergleichen, ermitteln wir die Entfernung, die heute zwischen uns und der Galaxie liegt, in der sie sich ereignet hat. Das sind die Entfernungen, die von den beiden Astronomenteams gemessen wurden. 6
Die Farben der Kosmologie
So viel zur Messung von Distanzen zu weit entfernten Galaxien, die hell leuchtende Supernovae des Typs Ia enthalten. Wie können wir nun etwas über die Expansionsgeschwindigkeit des Universums vor langer Zeit erfahren, als einer dieser kosmischen Leuchttürme nach dem anderen vorübergehend aufleuchtete? Die dafür notwendige Physik ist nicht viel komplizierter als jene, die eine Neonröhre leuchten lässt.
Eine Neonröhre leuchtet rot auf, wenn durch das Gas in ihrem Inneren ein Strom läuft, der die Elektronen in den Elektronenhüllen der Neonatome vorübergehend in energiereichere Zustände versetzt. Wenn die Neonatome sich
dann wieder beruhigen, springen die angeregten Elektronen in ihren Grundzustand zurück und setzen die überschüssige Energie in Form von Photonen frei. Die Farbe der Photonen – ihre Wellenlänge – hängt davon ab, wie viel Energie sie transportieren. Eine entscheidende Entdeckung wurde in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts von der Quantenmechanik voll und ganz bestätigt: In den Atomen eines bestimmten chemischen Elements ist eine ganz bestimmte Reihe von Elektronen-Energiesprüngen möglich, die sich bei den freigesetzten Photonen entsprechend in eine ganz bestimmte Farbpalette umsetzen. Für Neonatome ist rot (oder eigentlich ein rötliches Orangerot) die beherrschende Farbe, was sich im Aussehen vieler Neonschilder niederschlägt. Ein ähnliches Verhalten zeigen auch andere Elemente – Helium, Sauerstoff, Chlor und so weiter; der wichtigste Unterschied betrifft die Wellenlängen der ausgesandten Elektronen. Eine »Neonreklame«, die nicht rot, sondern in einer anderen Farbe leuchtet, ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit Quecksilber (blau) oder Helium (golden) gefüllt, oder sie besteht aus Glasröhren, die mit Substanzen – meist Phosphor – beschichtet sind, deren Atome Licht mit anderen Wellenlängen aussenden können.
Auf genau die gleichen Überlegungen stützen sich auch große Teile der beobachtenden Astronomie. Astronomen fangen Licht entfernter Objekte mit Teleskopen ein, und an den dabei beobachteten Farben – den Lichtwellenlängen, die gemessen werden – können sie die chemische Zusammensetzung der Lichtquelle erkennen. Das Verfahren wurde erstmals während der Sonnenfinsternis von 1868 vorgeführt: Damals untersuchten der französische Astronom Pierre Janssen sowie der englische Astronom Joseph Norman Lockyer unabhängig voneinander das Licht von der äußersten Schicht der Sonne, das gerade eben über den Rand des Mondes schien, und fanden dort eine rätselhafte, helle Strahlung mit einer Wellenlänge, die man im Labor mit bekannten Substanzen nicht reproduzieren konnte. Das führte zu der kühnen – und richtigen – Vermutung, dieses Licht müsse von einem neuen, bis dahin unbekannten Element ausgehen. Die unbekannte Substanz war das Helium, das damit als einziges Element für sich in Anspruch nehmen kann, zuerst in der Sonne und erst später auf der Erde entdeckt
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