Die verborgene Wirklichkeit
worden zu sein. Mit solchen Arbeiten konnte man überzeugend nachweisen, dass man Atome ebenso eindeutig anhand des von ihnen ausgesandten (und auch absorbierten) Lichtwellenlängenmusters identifizieren kann, wie dies beim Menschen anhand des Linienmusters auf seinen Fingerkuppen möglich ist.
Als die Astronomen in den nun folgenden Jahrzehnten die Wellenlängen des Lichts von immer weiter entfernten astrophysikalischen Quellen untersuchten,
fiel ihnen etwas Seltsames auf. Die Wellenlängenmuster ähnelten zwar denen, die man aus Laborexperimenten mit gut untersuchten Atomen wie Wasserstoff und Helium kannte, die Wellenlängen selbst waren jedoch länger, und zwar umso länger, je weiter die Quelle entfernt war. So waren die Wellenlängen von einer bestimmten weit entfernten Quelle vielleicht um drei Prozent länger, die von einer anderen um zwölf und die von einer dritten um 21 Prozent. Weil das Licht dadurch zumindest im sichtbaren Teil des Spektrums immer stärker in Richtung der Farbe Rot verschoben ist, bezeichneten die Astronomen diesen Effekt als Rotverschiebung.
Ein solcher Name ist schon einmal ein guter Anfang, aber was ist die Ursache für die Dehnung der Wellenlängen? Die Antwort ergab sich aus den Beobachtungen von Vesto Slipher und Edwin Hubble: Das Universum expandiert. Das zuvor erläuterte Bild der unveränderlichen Landkarte eignet sich sehr gut für eine intuitive Erklärung.
Stellen wir uns einmal eine Lichtwelle vor, die sich von der Noa-Galaxie aus auf den Weg zur Erde macht. Wenn wir den Weg des Lichts auf unserer unveränderlichen Karte nachzeichnen, sehen wir eine einheitliche Abfolge von Wellenkämmen, einen nach dem anderen, während der ungestörte Wellenzug sich in Richtung unseres Teleskops bewegt. Da die Wellen so einheitlich sind, könnte man glauben, dass die Wellenlänge des Lichts (das heißt der Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Wellenkämmen) bei der Aussendung genauso groß sei wie bei der Ankunft. Die Pointe der Geschichte zeigt sich jedoch, wenn wir die Entfernungen auf der Karte anhand der Kartenlegende in reale Distanzen umrechnen. Da das Universum expandiert, ist der Umrechnungsfaktor zu dem Zeitpunkt, da das Licht seine Reise beendet, größer als zum Zeitpunkt der Abreise. Daraus folgt, dass die Wellenlänge des Lichts sich zwar, auf der Karte gemessen, nicht ändert, aber größer wird, wenn man sie in reale Abstände umrechnet. Wenn wir das Licht empfangen, sind seine Wellen länger als zu dem Zeitpunkt, als es ausgesandt wurde. Es ist, als wären die Lichtwellen dünne Fäden, die eine Naht in einem Stück Stretchgewebe bilden. Wenn wir das Gewebe dehnen, dehnt sich auch die Naht, und nach dem gleichen Prinzip dehnen sich mit dem Gewebe des Raumes auch die Lichtwellen.
Das lässt sich quantitativ ausdrücken. Wenn die Wellenlänge um drei Prozent gedehnt zu sein scheint, ist das Universum jetzt um drei Prozent größer als zu der Zeit, als das Licht ausgesandt wurde; erscheinen die Lichtwellen um 21 Prozent länger, hat das Universum sich um 21 Prozent ausgedehnt, seit das Licht seine Reise begann. Messungen der Rotverschiebung sagen also etwas darüber aus, wie groß das Universum zu dem Zeitpunkt, als das untersuchte Licht
ausgesandt wurde, im Vergleich zu seiner heutigen Größe war. r Nun erfordert es nur noch einen einfachen letzten Schritt, um eine Reihe solcher Rotverschiebungsmessungen zusammenzusetzen und daraus den Verlauf der Expansion des Universums über die Zeit hinweg zu rekonstruieren.
An der Wand unseres Kinderzimmers zeigt eine vor langer Zeit mit Bleistift angebrachte Markierung, wie groß das Kind an dem daneben notierten Datum war. Verfügt man über eine ausreichende Zahl solcher Markierungen, kann man feststellen, wie schnell das Kind zu verschiedenen Zeiten in der Vergangenheit gewachsen ist. Ein Wachstumsschub mit neun Jahren, langsameres Wachstum bis zum elften Lebensjahr, dann ein weiterer Schub mit dreizehn, und so weiter. Wenn Astronomen die Rotverschiebung einer Supernova des Typs Ia messen, bringen sie analoge »Bleistiftmarkierungen« für den Raum an. Ganz ähnlich wie die Größe unseres Kindes, so versetzt uns auch eine Reihe solcher Rotverschiebungsmessungen zu verschiedenen Supernovae des Typs Ia in die Lage, genau zu berechnen, wie schnell das Universum während verschiedener Zeiträume in der Vergangenheit gewachsen ist. Anhand dieser Daten wiederum können die Astronomen feststellen, wie stark sich die Expansion des
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