Die verborgene Wirklichkeit
Antwort ausrechneten, gelangten sie zu einem geradezu lächerlichen Ergebnis: Jedes Raumvolumen sollte eine unendlich große Energiemenge enthalten. Um zu erkennen, warum das so ist, können wir uns ein Feld vorstellen, das innerhalb einer leeren Schachtel irgendeiner beliebigen Größe fluktuiert. Abbildung 6.3 zeigt beispielhaft einige der Beiträge, die dabei auftreten. Jede derartige Fluktuation trägt zum Energiegehalt des Feldes bei (je kürzer die Wellenlänge, desto schneller sind die Fluktuationen und desto größer ist demnach ihre Energie). Und da es unendlich viele mögliche Wellenformen gibt, von denen jede eine kürzere Wellenlänge hat als die vorherige, ist die in den Fluktuationen enthaltene Gesamtenergie unendlich groß. 11
Ein solches Ergebnis war natürlich nicht hinnehmbar, aber der Schlag traf die Wissenschaftler deswegen auch nicht. Vielmehr erkannten sie es als Symptom des umfassenderen, allgemein bekannten Problems, das wir zuvor bereits erörtert haben: der Unvereinbarkeit von Gravitation und Quantenmechanik. Wie jeder wusste, kann man der Quantenfeldtheorie bei extrem kleinen Größenskalen nicht trauen. Fluktuationen mit Wellenlängen im Bereich der Planck-Länge (10 – 33 Zentimetern und kleiner) haben einen so großen Energiegehalt (und laut m = E/c 2 eine so große äquivalente Masse), dass man die Rolle ihrer Gravitationskraft nicht vernachlässigen kann. Um sie richtig zu beschreiben, braucht man ein System, das sowohl die Quantenmechanik als auch die Allgemeine Relativitätstheorie einschließt. Begrifflich verschiebt sich die Diskussion damit in Richtung der Stringtheorie oder anderer Kandidaten für eine Theorie der Quantengravitation. Die unmittelbare, eher pragmatische Reaktion der Wissenschaftler war jedoch zunächst einmal eine andere: Sie erklärten, man solle Fluktuationen auf Größenskalen, die kleiner als die Planck-Länge sind, nicht berücksichtigen. Andernfalls würde man die Berechnungen über die Grenzen des Geltungsbereichs der Quantenfeldtheorie hinaus ausdehnen. Dahinter stand die Erwartung, dass wir eines Tages ausreichende Kenntnisse über Stringtheorie oder Quantengravitation besitzen werden, um die ungeheuer kleinen Fluktuationen auch quantitativ handhaben zu können; bis dahin wollte man die gefährlichsten Fluktuationen unter mathematische Quarantäne stellen. Was die Anweisung bedeutet, ist klar: Lässt man Fluktuationen, die kleiner als die Planck-Länge sind, außer Acht, bleibt eine endliche Zahl übrig, so dass die Gesamtenergie, die sie zu einer Region des leeren Raumes beitragen, ebenfalls endlich ist.
Das ist ein Fortschritt. Oder zumindest wird dadurch die Last der Erklärung auf spätere Zeiten verschoben, wenn wir Erkenntnisse gewonnen haben, mit denen wir – drücken wir die Daumen – die Quantenfluktuationen mit extrem kleinen Wellenlängen zähmen können. Schon jetzt hat man aber herausgefunden, dass die Antwort für die Energiefluktuationen zwar endlich, aber gewaltig groß ist: ungefähr 10 94 Gramm je Kubikzentimeter. Das ist weit mehr, als wenn man alle Sterne aller bekannten Galaxien in einem Fingerhut zusammenquetschen würde. Konzentrieren wir uns auf einen ungeheuer kleinen Würfel mit einer Planck-Länge als Kantenlänge, so ergibt diese ungeheure Dichte immer noch 10 – 5 Gramm je Kubik-Planck-Länge oder 1 Planck-Masse je Planck-Volumen (deshalb sind diese Einheiten wie das Kilo für die Kartoffeln und die Sekunden für die Wartezeit die natürliche, sinnvolle Wahl). Eine kosmologische Konstante dieser Größenordnung würde eine so ungeheuer schnelle, nach außen gerichtete Explosion erzeugen, dass alles, von Galaxien bis zu Atomen, auseinandergerissen
würde. Quantitativer kann man argumentieren, dass die astronomischen Beobachtungen der Größe der kosmologischen Konstante eine enge Grenze setzen, vorausgesetzt, es gibt diese Konstante überhaupt; die theoretischen Befunde dagegen überschreiten diese Grenze um den verblüffenden Faktor von mehr als hundert Zehnerpotenzen. Für die Energie, die sich durch den Raum zieht, ist eine endlich große Zahl zwar immer noch besser als eine unendliche, dennoch wissen die Physiker ganz genau, dass sie die Ergebnisse ihrer Berechnungen drastisch verkleinern müssen.
Dass das theoretische Vorurteil über die kosmologische Konstante in den Blickpunkt rückte, hatte einen besonderen Grund. Nehmen wir einmal an, die kosmologische Konstante sei nicht nur klein, sondern sie sei exakt
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