Die verborgenen Bande des Herzens
zusammen, als er endlich nach Hause kam. Er sah aus, als hätte er ein, zwei Cider getrunken. Kaum hatte er die fremde Person im Wohnzimmer entdeckt, wollte er kehrtmachen und wieder gehen.
»Bleib noch kurz, Steve«, sagte sein Dad.
Der Junge trottete wieder herein. Er ist tatsächlich ein langer Lulatsch. Seine Körpergröße lässt ihn viel älter aussehen als knapp sechzehn. Es fehlen nur noch wenige Zentimeter, dann hat er seinen Dad eingeholt.
»Was isn hier los?«, fragte er mit einem leichten Lallen in der Stimme.
»Hast du getrunken?«, fuhr Alex Matthews ihn richtig böse an, als hätte er Lust, seinen Sprössling nach Strich und Faden zu verprügeln.
»Nö«, erwiderte Steve Matthews und hielt dem Blick seines Vaters stand, während sich sein Gesicht vor Feindseligkeit verfinsterte. Dann jedoch schien ihm der Zusammenhang klarzuwerden. »Was tut sie denn hier?«, fragte er und wies mit dem Kopf in meine Richtung. Seine Sprache klang mit einem Mal wieder nüchtern, ganz klar und verständlich. »Was ist passiert? Haben Sie Mum gefunden?«
»Nein …«
»Sie ist doch nicht …« Alles Blut wich aus Steves Gesicht, irgendwie schrumpfte er zusammen, wurde wieder zu einem kleinen Kind, das die Rüstung seiner gespielten Tapferkeit abgeworfen hatte. Ich sah, wie er schnell zu seinem Dad hinschaute, schiere Panik im Blick.
Da griff ich ein. Ich versuchte, ihn dazu zu bringen, sich zu setzen, aber er wollte nicht.
»Wenn ihr irgendwas zugestoßen ist …«, sagte er zu Alex, aufflammende Wut in der Stimme. Diese Wut erkannte ich wieder, die wilde Angst darin. »Du bist schuld. Was hast du diesmal wieder zu ihr gesagt?«
»Steve, ich hab nichts zu ihr gesagt. Ich habe sie nicht einmal mehr gesehen, nachdem ich aus dem Krankenhaus wegfuhr. Du warst anschließend noch mit ihr zusammen. Jetzt setz dich gefälligst hin und hör auf, dich so aufzuführen.« Trotz seines scharfen resoluten Tons wirkte Alex beunruhigt und verunsichert.
»Ich will mich nicht setzen«, erwiderte Steve in quengeligem Ton, als wollte er, obwohl er keinen ausreichenden Grund fand, partout an seinem Trotz festhalten. Ich erhob mich von meinem Platz und legte ihm meine Hand auf die Schulter, aber er schüttelte sie ab. So dicht vor ihm stehend roch ich deutlich, dass er getrunken hatte.
»Dann geh zu Bett«, sagte sein Dad ärgerlich.
»Wehe, wenn du das verbockt hast«, hörte ich Steve noch murmeln, ehe er aus dem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich zuschlug.
»Bitte entschuldigen Sie diesen Auftritt.«
Ich tat Alex’ Entschuldigung mit einer Kopfbewegung ab.
»Warum hat er das gesagt? Dass es Ihre Schuld sei?«
»Ach du meine Güte, fangen Sie jetzt bloß nicht an, etwas hineinzuinterpretieren in die Gedankengänge eines angetrunkenen Fünfzehnjährigen.« Er rieb sich müde mit den Händen über beide Wangen.
»Hören Sie, Mr Matthews«, flötete ich, ganz die einfühlsame Polizistin, wie sie es einem auf der Polizeischule beibringen, »ich weiß, Sie machen gerade eine wirklich schwierige Zeit durch, aber Sie müssen verstehen, dass wir Ihre Frau wiederfinden wollen, auch um Ihretwillen, und dass wir jeder möglichen Spur nachgehen müssen …«
Er dürfe es nicht persönlich nehmen, wenn wir Fragen stellen und das Haus durchsuchen … alles nur eine Formalität … bla, bla … von Vorteil, von der Liste streichen zu können …
Während ich meine Rolle spiele, schaut er mich die ganze Zeit forschend an. Seine Augen sind kornblumenblau.
»Das Haus durchsuchen? Was soll das bringen, das Haus zu durchsuchen?«
Statt einer Antwort ließ ich beredtes Schweigen folgen und konnte förmlich zusehen, wie in seinem Kopf eine Glühbirne aufflammte. Ich muss gestehen, ich liebe diesen kurzen Moment, wenn in den Augen deines Gegenübers plötzlich die Angst aufflackert, wenn ihm jäh klarwird, welche Macht du besitzt, um sein Leben auf den Kopf zu stellen.
»Was? Sie meinen …«
»Wie ich schon gesagt habe, Mr Matthews, eine reine Formalität. Wenn es irgendeinen Grund gibt, weswegen Ihre Frau sich vielleicht aufgeregt hat, dann …«
»Carol Ann regt sich immer über irgendetwas auf, wenn Sie mich fragen.«
Er lehnte sich auf der Couch zurück. Er hat einen tollen Body. Schlank und athletisch, kein Fitzelchen Fett, breite Schultern. Er ist gut eins fünfundachtzig groß, würde ich sagen. Er sieht aus wie Ende dreißig, höchstens Anfang vierzig, doch aus meinen Unterlagen weiß ich, dass er sechs Jahre älter ist
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