Die verborgenen Bande des Herzens
entzückt sein, ihn zu sehen.
Bin ich aber nicht.
»Was willst du?«, frage ich barsch.
Sein Haar ist noch feucht vom Duschen, in der Hand hält er seine Sporttasche. Er deutet mit dem Finger darauf wie ein Hausierer, der einen ungeahnten Schatz an funkelnden Glasperlen und Ketten und glitzernden Haarspangen mit sich herumträgt.
»Möchte die hübsche Lady vielleicht einen Blick auf meine Ware werfen?«, fragt er anzüglich.
»Nein.« Ich drücke die Tür nach vorn, tue so, als wollte ich sie ihm vor der Nase zuknallen.
Schnell steckt er den Fuß dazwischen, und die Tür prallt gegen seinen Schuh.
»Aha, die Lady will erobert werden«, sagt er. »Hm. Ich mag Herausforderungen.« Er lehnt sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen, denkt immer noch, ich mache Spaß. Er trägt schwarze Jeans und ein schwarzes kurzärmeliges T-Shirt, das seine kräftigen Muskeln zur Geltung bringt. Er ist gut in Form, unser Gavin.
Das Problem ist, ich brauche meinen Freiraum. Und ich möchte die Kontrolle behalten. Ich mag es nicht, wenn Leute unangemeldet hereinspazieren. Gavin denkt, weil wir beide nun sechs Monate zusammen sind, hätte er irgendwelche territorialen Rechte und könnte bei mir hereinschneien, wann immer ihm der Sinn danach steht. Ich gehe zurück in die Wohnung, lasse ihn auf der Schwelle stehen, in der Gewissheit, dass er mir nachtrotten wird. Am liebsten würde ich zu ihm sagen, er solle verschwinden.
Ich höre, wie er seine Sporttasche im Flur abstellt.
»Dachte, wir könnten heute Abend zusammen essen, weil wir ja beide freihaben«, ruft er. »Wir könnten uns einen gemütlichen Abend machen, eine DVD anschauen oder so.« Er fängt an zu pfeifen, aber es ist kein richtiges Pfeifen. Es ist dieser blöde nervige Ton, den er mit der Zunge am Gaumen hervorbringt. Er bringt mich auf die Palme.
Ich stecke den Kopf aus der Küchentür.
»Gut, und was hast du gedacht, was du kochen könntest?«
»Oh«, erwidert er verblüfft. Offensichtlich hat er gedacht, ich würde mich in die Küche stellen, was wiederum zeigt, wie viel er in diesen vergangenen sechs Monaten kapiert hat. »Ähm … ich könnte Spaghetti machen … oder so.«
»Auf keinen Fall.«
Ich dulde nicht, dass er in meiner Küche herumfuhrwerkt. Vier benutzte Töpfe, überall Tomatensauce, eine verklebte Knoblauchpresse, weil er sie nicht gleich anschließend wieder gespült hat, der Ausguss verstopft mit kalten glitschigen Spaghettiresten. Und darüber hinaus die selbstgefällige Erwartung, dass ich vor Dankbarkeit auf die Knie sinke. Liebling, was du alles kannst! Sicher bist du jetzt todmüde, geh nur, ruh dich aus, ich erledige derweil den Abwasch. Dann schufte ich wie eine Wilde, bis die Küche endlich wieder sauber ist, während er auf dem Sofa fläzt und sich irgendeine Sportsendung im Fernsehen anguckt. Das kann er sich, verdammt noch mal, abschminken.
Gav schaut mich aus großen Rehaugen alarmiert an.
»Alles okay mit dir?«, fragt er. »Ist was passiert?«
»Es geht mir gut.« Ich schenke ihm ein Lächeln, blass und unterkühlt wie ein Wintersonnenstrahl. Er ist so was von bescheuert, es macht ihn nicht einmal stutzig.
»Geh doch einfach noch mal runter, und hol uns was vom Chinesen, okay?«
»Oh, genau. Ja, gut«, willigt er ein. »Was hättest du gern?«
Gavin-Chop-Suey mit Reis. Danach steht mir der Sinn.
Ich fürchte, ich muss den Kerl loswerden.
8. Kapitel
Carol Ann
I ch ließ mich einfach vom Wind treiben, unterwarf mich fast schon devot der Richtung, in die er mich wehte. Ein Gedanke, aus einer Laune heraus, ein willkürlich gewähltes Ziel. Eine Fahrt mit dem Zug, eine Fahrt mit dem Bus, ein Ziel verpasst. Planänderung. Münze werfen. Eine plötzliche Idee.
Was man mit etwas gutem Willen als groben Plan bezeichnen könnte, war eine Erinnerung, die immer wieder hochkam und wieder verblasste, aber mit der Zeit immer deutlicher wurde. Als ich noch ein Kind war, machten Lily und ich ein einziges Mal zusammen Urlaub. Wir stiegen in Glasgow in den Überlandbus nach Irland und fuhren bis Donegal. Ich war ganz zappelig vor Aufregung und erwartete, dass unser Leben sich in dieser wunderbaren Woche, die vor uns lag, völlig verändern würde. Ich würde endlich eine ganz normale Tochter sein können und Lily eine ganz normale Mutter, wie andere Leute auch. Am ersten Tag klappte das wohl ganz gut, doch dann fiel Lily in ihre alten Gewohnheiten zurück. Meine Enttäuschung wuchs mit jedem Tag, und mit jedem Tag machte sie mir mehr
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