Die verborgenen Bande des Herzens
als Carol Ann. Er trug immer noch sein weißes Hemd vom Büro, hatte jedoch die Krawatte gelockert, die beiden obersten Knöpfe geöffnet, die Ärmel zurückgeschlagen. Gegen die weiße Baumwolle wirkte seine Haut sonnengebräunt.
»Und jetzt?«, fragte er.
»Wie ich schon gesagt habe, wir müssen das Haus durchsuchen. Und die Garage und die Wirtschaftsgebäude, die zu der Farm weiter oben an der Straße gehören. Und ich muss Sie nach weiteren Einzelheiten fragen, was Freunde und Verwandte betrifft. Außerdem werden wir noch die persönlichen Sachen von Carol Ann durchsehen, nur um uns zu vergewissern, dass wir keinen Hinweis übersehen haben. In Anbetracht der schweren Erkrankung ihrer Mutter ist es nur zu verständlich …«
»Verdammt – Lily«, rief er aus und sprang auf. »Bei dem ganzen Theater habe ich ganz vergessen, im Krankenhaus anzurufen …« Dann ließ er sich wieder auf die Couch zurücksinken. »Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist.«
»Stehen Sie Carol Anns Mutter nahe?«
»Nein«, erwiderte er knapp, fast unhöflich. Es war ihm ganz offensichtlich völlig egal, was ich von ihm dachte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, mich während des Gesprächs anzusehen.
»Nun, es ist möglich, dass die Erkrankung ihrer Mutter Carol Ann einfach aus der Bahn geworfen hat und dass sie in ein paar Tagen zurückkommen wird, wenn sie sich mit der neuen Situation abgefunden hat …«
Er nickte. »Ja, das denke ich auch.«
»Aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass es sich so verhält, und deshalb werden wir einstweilen damit beginnen, alles unter die Lupe zu nehmen, was untersucht werden kann. Wir werden uns ihr Bankkonto anschauen, ob es irgendwelche Bewegungen gibt.«
»Oh ja, natürlich. Erfahren wir von der Bank denn, an welchem Ort sie etwas abgehoben hat?«
»Die Bank teilt uns mit, ob es eine Kontobewegung gegeben hat, aber wir erfahren nicht, wo sie etwas abgehoben hat, Mr Matthews. Wenn eine Person aus freiem Willen verschwindet, muss man ihr auch das Recht auf Privatsphäre zugestehen. Das Einzige, was wir tun können, ist, uns zu vergewissern, dass ihr nichts zugestoßen ist, und diese Information an die Familie weiterzugeben. Aber wenn jemand nicht gefunden werden will, haben wir keine rechtliche Handhabe.«
»Also, wenn es keine Bewegung auf ihrem Konto gibt, woher sollen wir dann wissen, ob sie nicht irgendwo ermordet in einem Straßengraben liegt?«, fragte er.
Eine derartige Frage aus dem Mund des Ehemanns erschien mir reichlich brutal.
»Wir wissen es nicht«, erwiderte ich gleichermaßen unverblümt. Vielleicht zu unverblümt. Ein seltsamer Ausdruck stahl sich in seine Augen, eine Mischung aus Angst und Schmerz und Verunsicherung. Er wirkt bestürzt. Es ist schwierig für mich abzuschätzen, wie er für seine Frau empfindet.
»Sie sagten, Carol Anns Handy befindet sich noch hier im Haus?«
»Dort drüben.« Er deutet mit dem Kopf hinüber in Richtung Küche, auf die Arbeitsplatte.
»Wir werden uns die Liste ihrer Telefonate ansehen und zu rekonstruieren versuchen, mit wem sie alles gesprochen hat und wo sie überall gewesen ist, ehe sie verschwand.« Er nickt, aber hört mir nicht wirklich zu. Er sitzt da mit gebeugtem Rücken, die Unterarme auf die Schenkel gelegt, die Hände gefaltet.
»Glauben Sie, Sie werden sie finden?« Der Ton, in dem er mich das fragt, ist so überraschend naiv, so völlig durchschaubar, dass ich fast schlucken muss.
»Ich weiß es nicht, Mr Matthews«, antworte ich. »Ich hoffe es.«
Nicht die Hoffnung nehmen, aber keine Versprechungen machen – das haben sie uns auf der Polizeischule eingetrichtert. Ich weiß nicht, irgendetwas stimmt nicht mit diesem Alex Matthews. Er wirkt in gewisser Weise fast desinteressiert, unbeteiligt. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Es ist nicht so, dass ich glaube, dass er seine Frau umgebracht hat, das eigentlich nicht … nun ja, ich weiß es nicht. Aber er schleppt irgendein Schuldgefühl mit sich herum, er wirkt, als würde er sich in irgendeinem tieferen Sinn für ihr Verschwinden verantwortlich fühlen. Der Mann fasziniert mich. Es verbirgt sich eine Geschichte hinter diesem Paar, da bin ich mir ganz sicher.
Gavin kommt unangekündigt vorbei. Ich hasse es, wenn ich so überrumpelt werde. Es läutet an der Wohnungstür, und als ich öffne, steht er da auf der Schwelle, grinsend, als hätte er ein Überraschungsgeschenk für mich parat … nämlich sich. Trommelwirbel. Ta-tam! Als müsste ich
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