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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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hervorschielen muss, verleiht ihren Blicken etwas Kokettes. Ihr schulterlanges Haar umrahmt das Gesicht in exakten Konturen, wie ein Blitzstrahl. Im Spiegel sehe ich, wie er ihr zublinzelt, woraufhin sie ihm ein Lächeln und einen langen Blick aus halb gesenkten, dick getuschten Wimpern schenkt. Da bahnt sich etwas an, denke ich bei mir. Die beiden sind noch kein Paar. Die schönste, aufregendste Phase einer Liebesbeziehung.
    Ich mag es, wenn seine Finger in meinen Haaren wühlen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine damit nicht, dass er mich antörnt. Er ist nicht mein Typ. Er hat eine schmalere Taille als ich, und das ist kein guter Ausgangspunkt, oder? Aber irgendwie wirkt es so intim, wenn ein Mann dir an einem anderen Ort als deinem Schlafzimmer mit den Fingern durchs Haar fährt, deinem Äußeren so viel Aufmerksamkeit schenkt, ohne dass du mit ihm im Bett liegst. Es kommt mir so sinnlich vor, innig und vertraut. Die innige Nähe zu einem Mann fehlt mir. Sie endet schon lange, ehe man aufhört, Sex miteinander zu haben. Ich meine, schließlich schlief ich immer noch mit ihm … als ich … Nun, sagen wir einfach, Sex und innige Nähe sind zwei verschiedene Dinge.
    Nun legt er die Schere weg, fasst in mein Haar und zieht einzelne Strähnen nach vorne in mein Gesicht. Ich spüre, wie seine Finger sanft gegen meine Wange streifen. Seine Hände sind warm. Er schaut in den Spiegel, begutachtet, wie es mir steht, wenn das Haar nach vorn in die Stirn fällt.
    »Sehen Sie, so wirkt es viel weicher«, sagt er. »Das schmeichelt Ihrem Gesicht. Wenn wir noch ein kleines bisschen Länge wegnehmen und den Hinterkopf ein wenig mehr betonen, wirken Ihre Augen viel größer.« Er schaut prüfend in den Spiegel. »Sie haben tolle Augen«, sagt er. »Jetzt kommen sie erst richtig zur Geltung.«
    Ein weiteres Plus bei Männern, die bezahlt werden, damit sie einem zuhören. Sie machen einem Komplimente. Doch bist du erst mit einem Mann verheiratet, bringt er kaum noch ein »Guten Morgen« über die Lippen. Haare wie gesponnenes Gold . Jawohl, die hatte ich. Ich höre seine Stimme noch wie damals. Carol Ann . Plötzlich muss ich lachen, anscheinend grundlos, angesichts der Ironie dieser Situation, und Clive wirft mir im Spiegel einen überraschten, fragenden Blick zu. Ich schüttle den Kopf, mache eine beschwichtigende Handbewegung und werde rot.
    Ich schaue zu, wie die Strähnen fallen, schnipp, schnipp, schnipp, und sehe sie mit Erleichterung am Boden liegen. Ich werfe Ballast ab. Carol Ann entwickelte mit der Zeit so viel Angst vor dem Haareschneiden, dass sie schließlich nicht mehr zum Friseur ging. Stattdessen nahm sie eine Nagelschere zur Hand, stellte sich vor den Badspiegel und schnippelte an ihrem Pony herum. Mit der Zeit wurde sie kühner und vergriff sich sogar an ihrem Deckhaar. Für sie genügte das, fand sie. Doch jetzt genügte es nicht mehr. Ich liebe dieses Gefühl, hier zu sitzen und zuzusehen, wie mein altes Leben weggeschnippelt wird. Ich habe mich noch nie so befreit gefühlt.
    Während seiner Arbeit ist Clive ständig in Bewegung, nie versiegt sein Energiestrom. Er schwingt die Schere wie einen Pinsel, schneidet nicht nur mit den Händen, sondern bezieht seinen ganzen Körper in die Bewegung mit ein. Und alle paar Minuten hält er beim Schneiden inne, fährt mit den Fingern durch mein Haar, begutachtet, wie es fällt, fügt hier und da einen korrigierenden Schnitt hinzu.
    Die junge Blonde schickt sich an, in die Pause zu gehen. »Alison«, sagt Clive, während er zu einer Dose Schaumfestiger greift und sie schüttelt. Alison zieht ihre Jacke an und richtet einen schüchternen Blick auf ihn. Ich sehe, wie er die Hand hochhebt und die Finger spreizt. »Fünf Minuten?«, formt er stumm mit den Lippen. Sie nickt, und rasch wandert ihr Blick von ihm zu mir, und ein rosa Hauch überzieht ihre Wangen. Sie lächelt mich scheu an, macht kehrt und geht in einen Nebenraum, um dort auf Clive zu warten. Und schon passiert es – völlig überraschend gerät mein Gewissen in den Hinterhalt einer schon längst vergessen geglaubten Erinnerung.
    Er sitzt da, in der entgegengesetzten Ecke des Restaurants. Glasgow im Regen. Ich arbeite als Bedienung, scherze mit einer Kollegin, die gerade eine Bestellung durcheinandergebracht hat. Ich ertappe ihn dabei, wie er schon wieder zu mir herschaut, sehe diesen Blick aus seinen kornblumenblauen Augen, die unentwegt auf der Suche nach mir sind. Ein Blick, ein paar Sekunden, die

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