Die verborgenen Bande des Herzens
weitere Sekunde in dieser angespannten Atmosphäre aushalten konnte. Ich wollte in seinen Armen liegen. Ich war bereit dafür, dass wieder Friede zwischen uns einkehren sollte.
»Ich mach mir noch einen Kaffee. Willst du auch einen?«
Alex sah mich verwirrt an. »Nein, danke«, lag ihm auf der Zunge, dann besann er sich. »Nun, ja, wenn du sowieso welchen machst. Ich gehe nur vorher noch rasch unter die Dusche.«
»Jetzt? So spät noch? Du duschst doch sonst immer morgens.«
Wenn Alex den Eindruck hat, ich will ihm auf den Zahn fühlen, wird er in der Regel ein wenig aggressiv. Doch damals fiel mir auf, dass er sich mehr als sonst zurückhielt. Mehr darauf aus war, mich zu beschwichtigen.
»Ich weiß«, erwiderte er. »Aber in dem Restaurant war es furchtbar heiß, ich fühle mich ein bisschen verschwitzt, und außerdem riecht meine ganze Kleidung nach dem Zigarettenrauch von der Bar.« Er ging rückwärts aus der Tür. »Mach schon mal das Wasser heiß, ich bin gleich wieder da.«
Vielleicht wundern Sie sich nun ein wenig, denken, ich bausche ein paar kurze Sätze zu einer riesigen Sache auf. Aber mir war sofort klar, warum er unbedingt duschen wollte. Er wollte den Geruch einer anderen Frau von sich abwaschen.
Er ging davon aus, dass ich unten bleiben und dort auf ihn warten würde, aber ich machte schnell den Kaffee und nahm beide Tassen mit nach oben ins Schlafzimmer. Die Verbindungstür zu unserem Badezimmer stand offen, und ich sah ihn unter der Dusche stehen, er hatte den Kopf gesenkt wie ein demütiger Bittsteller, hatte die Stirn an die Glastür der Duschkabine gelegt und ließ sich das warme Wasser auf den Nacken rieseln.
Als ich seine Kaffeetasse auf das Nachttischchen stellte, hörte er mich, richtete sich sofort kerzengerade auf, wusch sich rasch mit Seife ab und hielt das Gesicht in den Duschstrahl. Ich nahm die Schmutzwäsche aus dem Korb und legte sein weißes Hemd obenauf.
»Willst du jetzt Wäsche waschen?«
»Warum nicht«, erwiderte ich. »Während wir schlafen, wird die Wäsche gewaschen, und ich kann sie dann gleich morgen früh aufhängen.« Ich registrierte mit Staunen, wie fest meine Stimme klang.
Auf dem Weg nach unten hob ich das Bündel Wäsche an mein Gesicht und schnüffelte an dem Hemd. Es roch kein bisschen nach Zigarettenrauch. Aber es haftete ihm auch kein Geruch an, der so gut zu meinem Verdacht gepasst hätte, kein Hauch eines Damenparfums. Nachher versuchte ich mir einzureden, ich hätte mich vielleicht doch getäuscht, doch gerade als ich mir die Worte im Kopf zurechtlegte, rührte sich eine innere Stimme und bekundete voller Hohn, was für eine dumme Gans ich sei. Es war nicht nur die Dusche. Es war Alex’ gesamte Ausstrahlung in jener Nacht. Der Instinkt ist nicht etwas so Unwissenschaftliches, wie man gemeinhin glaubt. Nur weil man die Signale nicht eindeutig identifizieren kann, heißt das nicht, dass man sie nicht empfangen hat oder sie nicht ausgesendet wurden. Ich wusste fast augenblicklich Bescheid, und ich denke inzwischen, dass auch Alex wusste, dass ich es wusste.
In den kommenden Wochen beobachtete ich ihn. Er wurde selbstsicherer, entwickelte mehr Zuversicht hinsichtlich seiner Fähigkeiten, gewisse Dinge vor mir zu verbergen. Er wurde kühner. Wir redeten kaum miteinander, aber wenn wir es taten, verhielt sich Alex höflicher als üblich, weniger knapp und barsch. Sein Gewissen machte ihm zu schaffen, doch ich weiß, dass er sich auch lebendig fühlte. Er hatte etwas Neues, anderes, das seine Gedanken von seiner Situation zu Hause ablenkte und, was vielleicht noch wichtiger war, von sich selbst. Er führte ein Doppelleben, und es gefiel ihm, wie er nun planen und Eventualitäten bedenken, wie er mit einem Mal verschlagen und hinterhältig werden musste, ja, ich glaube, er genoss es sogar ein wenig, dass es ihm den Schweiß heraustrieb bei der Vorstellung, ich könnte ihm auf die Schliche kommen.
Lily kam eines Abends zum Essen vorbei, als er sich gerade anschickte, noch auszugehen.
»Jede Menge Geschäftsessen in letzter Zeit, Alex«, sagte sie in einem Ton, der leicht provokant war, wie jedes Mal, wenn sie mit Alex sprach.
»Das ist wahr, Lily. Ein paar von uns müssen schließlich arbeiten.«
»Ach, du Ärmster«, bemerkte sie, und nahm einen weiteren kräftigen Schluck von ihrem Gin Tonic, den ich ihr gerade eingeschenkt hatte. Sie blickte Alex forschend an, während er sein Sakko anzog. »Ich muss schon sagen, immer wie aus dem Ei gepellt, unser
Weitere Kostenlose Bücher