Die verborgenen Bande des Herzens
Alex.« Sie machte eine ausholende Handbewegung in seine Richtung, und dabei klirrten die Eiswürfel in ihrem Glas, weil es fast schon wieder leer war. »Ich hoffe, deine Geschäftsfreunde am Tisch wissen die Mühe zu schätzen, die du dir gemacht hast.«
Alex bedachte sie mit einem kühlen Lächeln. »Lily«, versetzte er mit dieser eiskalten, geschliffenen Höflichkeit, die mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagte, »wir vernachlässigen dich. Lass mich dein Glas noch einmal auffüllen, ehe ich aufbreche.« Er wandte sich mir zu. »Carol Ann, Lilys Gin and Tonic war viel zu knickrig eingeschenkt. Da im Schrank steht ein großes Bierglas …«
»Alex …«
»Bis bald, Alex«, sagte Lily, ganz graziös und lässig. »Tu nichts, was auch ich nicht tun würde.«
»Oh, ich denke, ich sollte lieber höhere Maßstäbe für mein Benehmen anlegen, meinst du nicht, Lily? Schließlich bin ich ein verheirateter Mann.«
»Du hast recht«, parierte Lily. »Das hatte ich ganz vergessen. Ich denke, du hattest es auch vergessen.«
»Du gehst jetzt besser, Alex«, sagte ich. »Du kommst sonst noch zu spät«, und mit diesen Worten reichte ich ihm seinen Schlüsselbund.
»Mum«, sagte ich zu Lily, als Alex fort war, »du machst das Ganze nicht besser.«
Lily zuckte bloß mit den Achseln und kippte ihren Gin. »Ich kenne diesen Typ Mann«, erwiderte sie und setzte geräuschvoll ihr Glas ab. »Ich war lang genug mit so einem verheiratet.«
Ich gab der Sache anfangs ein, zwei Monate, dachte, sie würde sich irgendwann im Sand verlaufen, doch diese Affäre zog sich hin bis Weihnachten. Ich schätzte, dass es sich um eine Arbeitskollegin handelte. Ich schwieg die ganze Zeit, bis Anfang Dezember, als ich Alex fragte, wann eigentlich die Weihnachtsfeier seines Betriebs stattfinden werde.
Alex blickte alarmiert von seiner Zeitung hoch.
»Du kommst mit?«
»Willst du denn nicht, dass ich dich begleite?«
Alex riss die Augen auf und zuckte mit den Schultern, als wäre es kein Problem für ihn, so oder so. »Es ist nur, weil du dich sonst immer dagegen sträubst. Du bist noch nie mitgekommen.«
»Deshalb dachte ich mir, dass ich dieses Jahr mal dabei sein sollte.«
»Ganz wie du willst« erwiderte er, aber ich konnte förmlich zusehen, wie er Panik bekam. »Es wird tödlich langweilig wie immer. Ich bezweifle, ob du dich überhaupt amüsieren wirst.«
Mir blieben nur noch zwei Wochen, doch in dieser Zeit machte ich strikt Diät. Es brachte nicht viel. Ich verlor zwar ein paar Pfund, musste allerdings immer noch zu den großen Größen im Kleiderschrank greifen. Größe 44, fast schon 46. Ich wählte ein schwarzes Kleid, das, wie ich hoffte, nicht zu altbacken wirkte, weil auf dem Etikett Größe 42 stand. Auch wenn es weiter ausfiel als manche meiner Kleider in Größe 44, gab es mir psychisch ein besseres Gefühl. Es lag über der Brust eng an und fiel dann leicht ausgestellt über Taille und Hüften, sodass es die Wülste und Polster schön kaschierte.
Ich hatte eine ganze Weile kein Make-up getragen, doch an diesem Abend saß ich eine halbe Stunde an meinem Toilettentisch, trug Eyeliner auf, Lippenstift, und wischte dann alles wieder ab und fing von vorn an, weil meine Hand so zitterte und die Konturen verfehlte. Ich trug goldenen Lidschatten auf, passend zu meiner Haarfarbe, und betonte meine Wangenknochen mit pflaumenfarbenem Rouge. Trotz aller Schwierigkeiten hatte ich bei diesen Vorbereitungen auch irgendwie das Gefühl, innerlich zu erwachen, als wäre mein Leben doch noch nicht ganz vorbei.
Als ich ins Zimmer trat, würdigte Alex mich anfangs kaum eines Blickes, aber dann sah ich, wie sich seine Augen überrascht auf mich richteten. Er sagte nichts. Ich erkannte diesen Blick jedoch wieder. Er dauerte nur eine Sekunde, aber er genügte, um mein Selbstbewusstsein zu stärken. Es gibt doch so eine Studie, wie oft Männer im Verlauf einer Stunde an Sex denken, oder? Ich denke, diesmal konnte Alex auch nicht anders.
»Ich brauche nicht lange«, sagte er und ging sich umziehen.
Jedes Mal, wenn ich an diesen Abend zurückdenke, empfinde ich wieder diesen Mix aus banger Erwartung und Aufregung. Ich habe nicht die Ruhe, mich zu setzen. Das Adrenalin lässt meine Wangen unter dem pflaumenfarbenen Rouge erglühen. Ich lege beide Handflächen ans Gesicht, um es zu kühlen, doch meine Finger sind ebenfalls heiß. Dieses Gefühl ist nicht gänzlich unangenehm. Es ist, als wäre ich mir plötzlich bewusst, dass ich noch
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