Die verborgenen Bande des Herzens
lebendig bin, nachdem ich monatelang wie tot war. Ich spüre, wie das Blut durch meinen Körper strömt, bis in die Kopfhaut, in die Zehenspitzen; wie mein Magen zu blubbern anfängt und ich vor lauter Nervosität Schluckauf bekomme. Es ist ein Gefühl, als steckten meine Emotionen in der Trommel eines Revolvers, mit dem Russisches Roulette gespielt wird. Wenn man abdrückt, weiß man einfach nicht, was man bekommen wird. Lachen. Tränen. Eine tödliche Entladung von Wut.
Alle diese Gedanken behalte ich für mich. Ich sitze neben Alex im Wagen, und während der ganzen Fahrt schweigen wir uns an. Bei der Ampel an der Ecke vor dem Restaurant zieht Alex die Handbremse an, und dabei fällt sein Blick auf mein Bein. »Du hast eine Laufmasche«, sagt er und weist mit dem Kopf auf mein rechtes Bein.
Ich spähe hinunter auf meine Strumpfhose und sehe die Laufmasche, die vom Knie nach oben verläuft. Ich erinnere mich, dass ich beim Einsteigen mit dem Bein gegen die Tür gestoßen war, aber hatte den Schaden nicht sofort bemerkt. Mist. MIST .
»Gibt es hier irgendwo einen Drogeriemarkt?«, frage ich Alex.
»Die sind um diese Zeit alle schon geschlossen.« Die Ampel schaltet auf Grün, und er fährt los. »Zieh sie ein bisschen höher, dann geht es schon.«
»Nein.«
»Niemand wird was merken, wenn du die Strumpfhose einfach ein bisschen hochziehst.«
»Doch, man sieht es. Ich sehe es.«
»Mach doch nicht so ein Theater. Ich wollte, ich hätte den Mund gehalten.«
Mach doch nicht so ein Theater. Mach doch nicht so ein Theater! Ich werde jetzt gleich seiner verdammten Geliebten gegenüberstehen, und er sagt, ich soll kein Theater machen.
»Da vorn ist ein Supermarkt«, rufe ich. »Halt an!«
»Mein Gott!« Alex ist vor Schreck voll auf die Bremse gestiegen. »Ich kann hier nicht anhalten.«
Ich reiße die Tür auf und packe meine Handtasche.
»Fahr inzwischen einfach mal um den Block. Ich steig dann hier an dieser Stelle wieder ein.« Und schon bin ich draußen, ehe er etwas dagegen tun kann.
Ich überquere die Straße. Es hat zu regnen angefangen, ein feiner, durchdringender Nieselregen. Der Laden ist hell erleuchtet, ein warmes freundliches oranges Licht behauptet sich gegen die Winterdunkelheit. Alles ist weihnachtlich dekoriert, in den Gängen türmen sich Berge mit Gebäckdosen und Süßigkeiten und mit Silberkordel umwickelte Nuss- und Rosinenpäckchen.
Der Gang mit den Fleisch- und Wurstwaren. Ich komme mir doof vor, wie ich da in meinem Partykleid auf hohen Schuhen zwischen Packungen mit Hühnerschlegeln und Steaks stöckle. Ein paar neugierige Blicke treffen mich. Um die Ecke, Wasch- und Putzmittel. Die Strumpfhosen sind ganz am Ende des Gangs, die Auswahl ist sehr klein. Keine Nude-Töne, wie ich sie bräuchte. Siena. Es ist ein kräftiger, orange-brauner Ton, wie Bräune aus der Tube. Ich nehme lieber Schwarz. Mein Kleid ist schwarz, also wird es irgendwie gehen, aber ich wollte, der Laden wäre besser sortiert. Heutzutage scheinen alle jüngeren Frauen Nude zum schwarzen Kleid zu tragen. Seine Geliebte trägt sicher Nude zu Schwarz.
Ein kalter Wind bläst mir entgegen, als ich den Supermarkt verlasse. Der Regen ist stärker geworden. Ich spüre regelrecht, wie er meine sorgfältig geföhnte Frisur plattdrückt. Der dünne Stoff meines Kleides ist im Nu feucht. Nirgends eine Spur von Alex, also stelle ich mich auf die andere Straßenseite, um auf ihn zu warten. Ich stehe da und zittere vor Kälte, stelle mich dicht an eine Hecke, die tief herunterhängenden Äste eines Baumes dahinter bieten mir etwas Schutz. Es dauert nur ein paar Minuten, bis er kommt, aber ich friere wie ein Schneider in der feuchten Kälte. Das Gebläse der Autoheizung strömt mir warm entgegen, als ich einsteige.
»Ich musste zweimal um den Block rumfahren«, beklagt sich Alex. »Warum hat es so lange gedauert?«
Ich ignoriere seinen Vorwurf und reiße wortlos die neue Packung auf, nehme die Strumpfhose heraus. Ich warte, bis sich neben uns kein anderes Fahrzeug befindet, dann schiebe ich mein Kleid hoch, und versuche, mich der kaputten Strumpfhose zu entledigen, wobei ich mich auf dem Ledersitz winde und schlängle wie ein Aal. Alex schaut immer wieder in den Rückspiegel.
»Da kommt ein Auto«, sagt er. Ich ziehe das Kleid über meine Knie und sitze still, als der Fahrer des anderen Wagens sich direkt neben uns befindet. Ein Auto nach dem anderen fährt vorbei, sodass ich immer nervöser und hektischer werde. Ach, was
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