Die Verborgenen
samt Gesichtsschutz und neuen Handschuhen übergezogen.
»Ihr Jungs bringt mir die schönsten Geschenke«, sagte sie. »Alles, was ich brauche, um meinen Nachmittag ein wenig aufzumöbeln.«
Sammy lächelte. »Und ob. Ein vielversprechender Fall für deinen ersten Tag als Chefin von diesem Laden hier, hmm?«
»Ich bin nicht die Chefin von diesem Laden . Das ist alles nur vorübergehend.«
Jimmy zuckte mit seinen kleinen Schultern. »Das werden wir sehen. Ich mag Metz, aber ein Herzinfarkt in seinem Alter? Davon erholt man sich kaum mehr.«
»Er wird zurückkommen«, sagte Robin. Zwar hätte sie die Leitung der Gerichtsmedizin gern auf Dauer übernommen, doch sie wusste, dass sie noch nicht so weit war. Ein, zwei weitere Jahre zusammen mit Metz, dann wäre sie vielleicht bereit dazu.
»Okay«, sagte sie, »dann lassen wir die Party mal beginnen.«
Sie öffnete den Reißverschluss des Leichensacks. Sofort roch sie den Urin. Durchdringend und irgendwie einzigartig. Derselbe Geruch wie bei Maloney.
»Ziemlich heftig«, sagte sie. »Seine Blase muss voll gewesen sein, als er starb.«
Sammy schüttelte den Kopf. »Rate noch mal. Seine Mörder haben auf die Leiche gepinkelt. Oder der Rottweiler.«
»Tiger«, sagte Jimmy.
Wenn ein Mensch starb, erschlafften seine Darmmuskeln und seine Blase, was häufig dazu führte, dass die Leiche Fäkalien und Urin ausschied. Deshalb hatte Robin auch nicht weiter über den Geruch nachgedacht, als Metz Maloney in die Gerichtsmedizin gerollt hatte. Doch genau wie bei Maloney hatte der Geruch, der den Jungen umgab, etwas Einzigartiges an sich. Sie hatte so etwas noch nie gerochen. Konnte es sein, dass Maloneys Mörder auch auf die Leiche des Jungen uriniert hatte?
»Das könnte uns helfen«, sagte sie. »Wenn die Person, der das Tier gehört, auf das Opfer uriniert hat, bekommen wir dadurch vielleicht einige Informationen.«
Sammy griff in den Leichensack und zog die blutige Hand des Toten heraus. Sie nahmen die Fingerabdrücke ab und ließen sie durch den Computer laufen. Dann wogen und vermaßen sie die Leiche.
»Wir konnten ihn anhand seines Führerscheins vorläufig identifizieren«, sagte Sammy. »Oscar Woody, sechzehn Jahre. Die Bestätigung müsste ziemlich schnell da sein, denn über Woody haben wir eine Akte. Und wir haben seine Fingerabdrücke.«
»Schon?« Robin fand es unendlich traurig, dass manche Jugendliche so früh in ihrem Leben mit dem Gesetz in Konflikt kamen. War das schon immer so gewesen? Wahrscheinlich. Und doch wirkte heute alles viel krasser. Während sie langsam älter wurde, schienen die kriminellen Teenager immer jünger zu werden.
Jimmy schnitt die Kleider von der Leiche und steckte sie in einzelne Tüten.
»Wir konnten einige Speichelproben sicherstellen. Jedenfalls sieht es danach aus«, sagte er. »Das Zeug war über die ganze Schulter verteilt. Wahrscheinlich stammen sie vom Tiger.«
»Rottweiler«, sagte Sammy. »Robin, danke, dass wir dir helfen dürfen. Wenn du deinen Tisch vorbereiten willst, bringen wir den Jungen rein.«
Robin nickte. »Mach ich.«
Sie ging aus der Vorbereitungshalle in einen langen, rechtwinkligen Autopsieraum, dessen Wände mit Holzpaneelen ver kleidet waren. Dort standen fünf weiße Untersuchungstische aus Porzellan, die so angeordnet waren, dass die Längsseiten der Tische jeweils parallel zu den beiden kürzeren Wänden verliefen. Im Augenblick waren alle Tische leer. Aber Robin hatte schon viele Tage erlebt, an denen fünf Obduktionen gleichzeitig durchgeführt wurden, während in den Fächern des begehbaren Kühlraums weitere Leichen warteten.
Üblicherweise arbeiteten die meisten Gerichtsmediziner an Tischen aus Edelstahl. Doch die Hall of Justice, zu der die Gerichtsmedizin in San Francisco gehörte, war 1958 errichtet worden, und in den letzten fünfzig Jahren hatte sich dieser Autopsieraum einschließlich seiner Porzellantische und der übrigen Einrichtung kaum verändert. Metz hatte Robin erzählt, dass man zwar die Aschenbecher aus ihren Wandhalterungen entfernt hatte, ansonsten aber alles im Wesentlichen noch so aussah wie an seinem ersten Arbeitstag vier Jahrzehnte zuvor.
Sammy und Jimmy schoben die Rolltrage in den Raum und hoben die Leiche auf den ersten Porzellantisch. Obwohl Robin einiges gewohnt war, zuckte sie beim Anblick der verstümmelten Leiche zusammen.
Als der Arm vom Torso abgetrennt worden war, war das äußere Drittel des Schlüsselbeins abgebrochen. Jetzt ragte der Knochenstumpf
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