Die Verborgenen
Sammy ging langsam, mit ganz kleinen Schritten, umher und hielt die um seinen Hals hängende Kamera in den Händen. Wenn er das eine Ende seines Wegs erreicht hatte, drehte er sich um neunzig Grad nach rechts, wobei er noch immer den Kopf gesenkt hielt, machte einen Schritt, drehte sich noch einmal um neunzig Grad und ging dann in genau entgegengesetzter Richtung durch die Gasse. Alle drei oder vier Schritte blieb er stehen, richtete die Kamera auf den Boden und schoss ein Foto. Dann beugte er sich hinab und hob mit seiner Pinzette etwas auf. Er ließ den Gegenstand in einen Umschlag aus braunem Papier fallen, den er versiegelte und beschriftete. Schließlich schrieb er etwas auf ein kleines gefaltetes Stück weißen Pappkarton, den er an der Stelle platzierte, an der sich der gesicherte Gegenstand ursprünglich befunden hatte.
Unterdessen blieb Jimmy bei der grässlich zugerichteten Leiche, die er immer wieder aus allen möglichen Winkeln fotografierte – teils aus größerer Distanz und teils von so nahe, dass er die Kamera geradezu in die Schulterwunde zu schieben schien. Jimmy war ziemlich klein, und die blaue Windjacke war ihm viel zu groß, sodass er darin noch winziger aussah.
Sammy blieb stehen. Er streckte sich. Die Augen noch immer auf den Boden gerichtet, wischte er sich mit der behandschuhten Hand einige blonde Strähnen aus dem Gesicht. Schließlich nahm er ein größeres Blickfeld ins Visier, indem er den Kopf ausschließlich nach rechts und links bewegte. Kurz darauf sah er hoch zu Pookie und Bryan und verließ vorsichtig die Gasse.
»Sammy«, sagte Pookie. »Wie geht’s Roger?«
Eigentlich war Pookie nicht nach Plaudern zumute, doch die Gewohnheit war stärker. Sammys Bruder hatte einige Tage zuvor einen Autounfall gehabt. Pookie konnte sich nicht daran erinnern, wie er davon erfahren hatte. Er hatte keine Ahnung, warum er sich all diese Dinge merkte.
»Alles in Ordnung«, sagte Sammy. »Er kommt morgen aus dem Krankenhaus, hab ich gehört. Euer einarmiger Bandit ist übrigens identifiziert.«
Sammy griff in eine seiner Taschen und zog eine Plastiktüte mit einer offenen Brieftasche heraus. Ein Führerschein zeigte einen Jugendlichen mit dichten schwarzen Locken. Es schien unmöglich, dass dieses junge, gesunde Gesicht dem Menschen gehört hatte, dessen einäugige, verstümmelte Leiche hier in die ser Gasse lag.
»Oscar Woody«, sagte Sammy. »Ich bin ziemlich sicher, dass es sich um ihn handelt, wenn man nach der statistischen Wahrscheinlichkeit geht. Wir werden versuchen, das so schnell wie möglich zu bestätigen. Er hatte den Führerschein erst seit zwei Wochen. Süße sechzehn, was?«
Pookie beobachtete, wie Sammy die Brieftasche so drehte, dass Bryan sie sehen konnte. Bryans Augen wurden ein wenig größer. Hatte er das Bild wiedererkannt?
Sammy schob die Tüte mit der Brieftasche wieder in eine seiner Taschen. »Da hat jemand dem Opfer wirklich zugesetzt, was?«
Pookie nickte. »Kannst du laut sagen. Was, glaubst du, hat dem Jungen den Arm abgerissen?«
»Da hier nirgendwo eine Industriemaschine rumsteht, würde ich sagen, es war ein großes Tier. Wir haben mehrere braune Haare gefunden, etwa zweieinhalb Zentimeter lang. Sieht für mich nach Hundefell aus.«
Pookie sah zur Leiche. Der Junge war knapp einen Meter achtzig groß und durfte um die hundertsechzig Pfund gewogen haben. »Das ist kein Säugling, Sammy. Ihm einen Arm auszureißen kann nicht leicht gewesen sein. Was für ein Hund wäre dazu wohl in der Lage?«
Sammy zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein Pitbull? Oder doch eher ein Rottweiler? Wenn es ein Rottweiler wäre, der um die hundertzwanzig Pfund wiegt, könnte es vielleicht hinhauen. Es gibt allerdings auch über zweihundert Pfund schwere Mastiffs. Die könnten einem problemlos einen Arm ausreißen.«
Möglich … und doch. Streifenpolizisten hatten bereits in der ganzen Umgebung nach Zeugen gesucht und waren mit leeren Händen zurückgekommen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass niemand einen Schrei gehört haben sollte, wenn ein um die zweihundert Pfund schwerer Hund einem Jungen einen Arm abbiss.
»Ich glaube sowieso, dass der Hund jemanden hatte, der ihm half«, sagte Sammy. »Oben am Gebäude befindet sich eine Über wachungskamera. An dem Gebäude, das noch gut in Schuss ist, nicht an der ehemaligen Wäscherei. Die Kamera war direkt auf die Gasse gerichtet, und jetzt ist sie hinüber. Sieht aus, als hätte sie erst kürzlich jemand kaputt gemacht.
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