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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Haie.
    Tobbs schlich weiter, das Korallengeschoss im Anschlag.
    Ein Knie. Bedeckt von rotem, zerrissenem Stoff.
    Tobbs’ Hand, die die Koralle hielt, begann zu zittern.
    Es war einer der Krieger!
    Allerdings ohne den martialischen Helm und ohne Waffen. Fetzen bedeckten seinen Körper, und um seinen Hals baumelte eine Schlinge. Das zerfaserte Ende ließ darauf schließen, dass er das Seil durchgescheuert hatte. Nein, im Grunde sah es eher so aus, als hätte ein Tier es durchgenagt. Glattes schwarzes Haar fiel dem jungen Mann über das Gesicht. Seine Augen konnte Tobbs jedoch trotzdem zwischen den Strähnen erkennen. Braune Augen mit seltsamen Pupillen leuchteten da auf, tierähnlich und doch menschlich. Und voller Schmerz.
    Wie ein völlig entkräfteter Gestrandeter klammerte sich der Krieger an das Wurzelwerk. Als er Tobbs entdeckte, wurden seine Augen groß vor Entsetzen. Er gab einen keuchenden Laut von sich und versuchte sich aufzurichten, doch die Erschöpfung zwang ihn wieder zu Boden. Er war wehrlos. Und er wusste es.
    Die Kanten des Korallenstücks schnitten in Tobbs’ Handfläche, so fest umklammerte er seine Waffe. Für die Dauer eines Gedankenblitzes sah er sich selbst, wie er ausholte und den Krieger erschlug. Als Vergeltung für den Überfall, für Wanjas Verschwinden und den Tod der Nixe, für die Angst, die Bedrohung, der er sich ausgesetzt fühlte – für die Zerstörung seiner sicheren Welt.
    Er zitterte am ganzen Körper, während er den Wehrlosen betrachtete. Es war ein junger Mann. Nur wenige Jahre älter als er selbst, vielleicht achtzehn? Außer den Augen war in seinem Gesicht nichts Tierähnliches mehr.
    Nun hustete er dumpf und zog sich mühsam weiter an den Baumwurzeln hoch. Sein Keuchen erfüllte die Luft. Offenbar fürchtete er sich und Tobbs sah auch, wovor: Die Hundehaie hatten das Blut gewittert und würden sich die Beute holen, die so verlockend halb im Wasser hing.
    In der Ferne blitzten bereits weiße Haiflossen auf, die sich mit erstaunlich schnellem Tempo näherten.
    Tobbs rührte sich nicht. Keine Frage: Sie würden den Krieger töten. Gesetz des Meeres. Alles ein Glied in der Nahrungskette. Er würde verschwinden, im Grunde war er bereits ein Toter, denn sein Leben hatte er verspielt. Und Tobbs musste nichts tun, außer dazustehen und nicht einzugreifen. Und ich bin nicht schuld. Der Gedanke durchrieselte ihn wie ein eisiger Schauer. Doch noch bevor er den Satz zu Ende gedacht hatte, schämte er sich bereits unendlich. Nicht schuld sein? Was für ein verfluchter Unsinn!
    Der Krieger schloss die Augen. Tobbs ließ den Stein zu Boden fallen und kletterte, so schnell er konnte, zu dem Verwundeten hinunter. Obwohl sich seine Nackenhaare vor Abscheu sträubten, packte er den Gestrandeten an den Handgelenken und zog mit aller Kraft. Der Krieger schrie auf, als er über den rauen Untergrund gezogen wurde. Doch er war geistesgegenwärtig genug, die Beine anzuziehen – genau in dem Augenblick, als einer der Hundehaie aus dem Wasser schoss und seinen Fuß knapp verfehlte.
    Der Krieger krallte sich an Tobbs’ Unterarme und ließ sich hochziehen. Gemeinsam stolperten sie von der Wasserkante weg, an der die Haie nun einen peitschenden Tanz vollführten. Tobbs sah messerscharfe Zähne unter dreieckigen Nasen. Salzwasser traf ihn wie eine klatschend nasse Ohrfeige. Er fürchtete sich fast zu Tode, dass einer der Haie auf die schmale Insel springen könnte, und dennoch hielt er den Krieger so fest, als wäre es Wanja und nicht ihr möglicher Mörder.
    Erst als der letzte Hai wieder in der Tiefe verschwunden war, ließ er den geschwächten Körper los. Der Krieger sackte in den Baumschatten und schlang seine Arme um die Beine. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Zähne schlugen aufeinander wie Holzklötze in einer Schüttelkiste.
    Tobbs betrachtete das Bild des Jammers ein oder zwei tiefe Atemzüge lang, und dann tat er etwas, was er sich selbst in hundert kalten rusanischen Wintern niemals zugetraut hätte: Er gab dem Krieger einen Tritt gegen den Oberschenkel.
    »Das hast du jetzt davon!«, schrie er. »Was habt ihr hier zu suchen? Was zum Teufel wollt ihr von uns? Was hat Wanja euch getan? Ihr Mörder!«
    Der Krieger starrte ihn schweigend an, die Schlinge baumelte um seinen Hals. Dieses stumme Verharren brachte Tobbs noch mehr in Rage. »Jetzt fühlst du dich nicht mehr stark, was?«, brüllte er. »Ohne deinen Helm und eure verfluchten Pfeile und Schwerter?«
    Auch gegen den zweiten

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