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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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du gesehen, was für Haare sie hat?«
    Zu seinem Schreck erhoben sich die Füchse jetzt und trotteten direkt auf ihn zu. Der linke – er schien der Wortführer zu sein – kam so dicht an ihn heran, dass sie Nase an Nase saßen, und schnupperte.
    Doch seltsamerweise spürte Tobbs den Fuchsatem nicht und er roch auch nichts anderes als die regennasse Luft. Und als er in die weißen Augen blickte, sah er mitten durch sie hindurch! Schemenhaft schimmerte der Eingang der Hütte durch die milchige Fuchsgestalt.
    »Wer … seid ihr?«, fragte er.
    »Das ist nicht die richtige Frage«, echoten die mittleren Füchse. »Die richtige Frage würde lauten: Wer bin ich?«
    Erneutes Kichern.
    »Du bist in einem Tempel«, raunte Fuchs Nummer eins. »Und wir sind das Orakel. Also stelle die richtige Frage!«
    Tobbs fröstelte und beobachtete nur, wie die vier sich anmutig wie Synchronschwimmer gleichzeitig hinlegten und die Pfoten übereinanderschlugen.
    »Warum könnt ihr sprechen?«, fragte Tobbs. »Oder ist das alles nur ein Traum?«
    »Die Schlange hat viele Zungen, doch nur ein Herz«, sagte Fuchs Nummer vier, als wäre damit alles erklärt.
    Anguana regte sich wieder und murmelte im Schlaf einige verwaschene Worte, aber sie erwachte nicht. Die Füchse kümmerten sich nicht um sie, sondern glotzten Tobbs an wie eine Jury einen Kandidaten. Tobbs hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich mit dem Fuß verlegen am Ohr zu kratzen. Doch dann dachte er nach: Füchse mochten ihn. Füchse halfen ihm, Füchsen hatte er bisher in jedem Land vertrauen können. Vielleicht sollte er auch diesmal ihrem Rat folgen?
    »Also … gut«, sagte er nach einer Weile. »Dann stelle ich eben die Frage: Wer bin ich?«
    Nummer zwei und drei kicherten.
    »Wassertropfen in siedendem Öl«, sagte Nummer eins. »Schwertspitze mit schwarzem Unglücksblut. Sandergiftholz, noch zu grün.«
    Aha.
    »Hm, das ist keine besonders genaue Angabe«, meinte Tobbs. »Und was bedeutet das?«
    Nummer vier grinste. »Geh zu einem Haus mit einem grünen Dach und goldenen Fenstern. Da wirst du es erfahren.«
    »Ein Haus mit grünem Dach? Wo finde ich es?«
    Eins bis vier sahen plötzlich sehr zufrieden aus.
    »Ene mene muh, Augen zu!«, sagte Nummer eins.
    Tobbs zwinkerte gegen seinen Willen, und als er die Augen das nächste Mal öffnete, fiel ein Sonnenstrahl ihm mitten ins Gesicht. Von den Füchsen keine Spur mehr. Und das Dach war verschwunden!
    »Guten Morgen!«, krächzte eine heisere Stimme.
    Es war nicht Anguana. Denn Anguana regte sich gerade erst und streckte sich. »Morg’n«, sagte sie verschlafen und setzte sich neben Tobbs auf. Dann blickte sie an ihm vorbei und ihre Augen wurden groß. Tobbs fuhr hoch.
    Ein dürrer alter Mann saß vor der Kohlepfanne und stocherte in der Glut. Nun hob er den Kopf und grinste seine Gäste an. Seine dünnen, langen Arme und die großen Ohren, die von seinem fast kahlen Schädel abstanden, ließen ihn wie einen Affen aussehen. Doch noch viel seltsamer als die Anwesenheit des alten Mannes war, was mit dem Tempel passiert war.
    Tobbs und Anguana saßen in einer Ruine, die nur noch das jämmerliche Skelett des Tempels war! So als hätten sie viele Jahre im Dornröschenschlaf verbracht. Anstelle der lackierten Holzrahmen der Wände staken nur noch verwitterte bleiche Pfähle im Boden. Regenverschmierte Fetzen Wandpapier flatterten im lauen Morgenwind. Auf einem davon glaubte Tobbs die Fuchszeichnung erkennen zu können. Allerdings hätte er schwören können, dass der Fuchs auf der Zeichnung gestern noch nicht gelächelt hatte. Der Steinaltar war verwittert und von einer dicken Schicht Herbstlaub und Erde bedeckt, als hätte der Wind viele Jahre lang seine Schätze in den Tempel getragen. Und die weißen Füchse aus Alabaster? Tobbs streckte sich, doch er konnte nur graue, verwitterte Statuen sehen. Was sie einst dargestellt hatten, war kaum mehr zu erkennen.
    »Was ist hier passiert?«, flüsterte Anguana.
    »Der Tempel ist alt«, meldete sich der Greis zu Wort. »Und die Zeit hat an ihm genagt wie ein hungriger Hund an einem alten Knochen. Ich dachte, ich wäre der Einzige, der diesen verlassenen Ort noch besucht. Seit über zehn Jahren ist hier kein Mensch mehr vorbeigekommen. Umso mehr freue ich mich, dass ich heute Gäste antreffe! Fleisch kann ich euch nicht anbieten …« Mit dem verrosteten Schüreisen, mit dem er die Kohlen zurechtrückte, tippte er auf die Reste der Schlangenhaut, die noch auf dem Boden lagen.

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