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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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flüsterte er.
    Tobbs robbte zu Mamsie Matata und stellte den Spiegel auf, damit sie den Raum sehen konnte.
    Mamsie verzog das Gesicht. »Puh, was für ’ne Absteige!«, meinte sie und verschwand.
    Tobbs sah in den Spiegel und zuckte überrascht zurück: Der Boden bestand nur aus Wurzelwerk und getrocknetem Schlamm. Die schillernden Wände waren in Wirklichkeit grobe Holzplanken, die kostbaren Schleiervorhänge Äste einer Trauerweide, an denen trockene Blätter hingen. Alles schien tot und verlassen. Das Einzige, was sehr lebendig wirkte, kauerte neben einem gesplitterten Baumstamm und schlotterte. Tobbs wandte den Blick vom Spiegel und sah direkt hin.
    Neben einem goldenen Samtsofa kauerten fünf zerlumpte Gestalten. Eine hielt eine lädierte Gitarre in der Hand, die ein Loch in Form eines Minotaurus-Hufabdrucks zierte. Verstaubte Glitzerjäckchen funkelten kläglich im Schein der bunten Laternenlichter, die in Wirklichkeit wahrscheinlich nur ordinäre lila Leuchtmotten waren.
    »Tu mir nichts, Arnold!«, sagte der Flamencospieler. Tobbs erkannte mit grimmiger Überraschung den Musiker, der Anguana in Katuro an die Wachen verraten hatte. »Ich wollte euch nicht ausliefern, aber die haben gesagt, die werfen mich zu den Nixen und …«
    »Scht!«, fuhr Arnold ihn an. »Schrei hier nicht so herum! Wir tun euch nichts, wir suchen nur Anguana.«
    Nixen. Tobbs horchte auf. Da war etwas … Eine Ahnung, ein Verdacht, aber im Augenblick fand er den Faden einfach nicht.
    »Habt ihr irgendwas gesehen oder gehört?«, flüsterte Arnold. »Wisst ihr, ob Anguana hier irgendwo ist?«
    »No, Senor!«, hauchte der Musiker.
    Von draußen drang Schwerterklirren herein. Schatten huschten über die Wände. Jeden Moment konnten die Kitsune oder die Tanukis in den Palast stürmen.
    Tobbs klemmte sich Mamsie Matata unter den Arm und rannte los. Irgendwo musste Anguana doch sein!
    Wer auch immer den Palast gestaltet hatte, er musste einen erstklassigen Expansionszauber benutzt haben, denn das Gebäude öffnete sich in immer neue Räume. In manchen waren die Vorhänge zerrissen und die Lampen lagen zerbrochen am Boden. Von Anguana keine Spur.
    Tobbs rief leise nach ihr und schaute hinter jede Tür. Schließlich erreichte er eine prächtig vergoldete Marmortreppe, die Mamsie Matatas Spiegel als knorrige Wurzelstiege entlarvte.
    »Vielleicht der Gefängnistrakt«, keuchte Ankou Arnold, der nur mühsam mit ihm Schritt halten konnte.
    Tobbs wurde ganz flau im Magen. Anguana, gefangen in einem Käfig oder einem Fischernetz – das war schon schlimm genug. Aber die Vorstellung, dass das Mädchen ganz allein in einem finsteren Kerker saß …
    »Anguana?«, rief er zaghaft und tastete sich die Treppe hinunter. Das Licht wurde düsterer. Der Raum wurde hier nur von einigen altersschwachen Leuchtmaden erhellt, die tapfer die Wände hochschnauften. Tobbs fehlte sein Fuchsgehör, aber er konnte sich förmlich vorstellen, wie sie bei jeder Bewegung »hauruck, hauruck« vor sich hin murmelten.
    »Da ist etwas!«, flüsterte Arnold. »Hör mal!«
    Sie lauschten. War da nicht eben eine Frauenstimme gewesen?
    »Es kommt von weiter unten!«
    »Allerdings«, bemerkte Mamsie Matata. »Und schaut mal nach dahinten.«
    In einem Winkel des Raums war ein winziges Loch im Boden. Und durch dieses Loch fingerte sich ein Lichtstrahl. Er bewegte sich, wanderte über die Decke und wieder zurück.
    Mit dem Raum hier unten hatte der magische Innenarchitekt sich weniger Mühe gegeben. Goldfliesen wechselten sich hier nahtlos mit unförmigen Granitbrocken ab. Vertrocknete Käfer häuften sich in den Ecken. In Mamsie Matatas Spiegel zeigte sich das wahre Gesicht dieser Umgebung: eine unterirdische Grotte. Der einzige Zugang, der vermutlich in ein Höhlenlabyrinth führte, war mit morschem Holz verschlossen.
    Durch die Ritzen dieser provisorischen Tür fielen Nadeln von Licht und bewegten sich, als würde jemand hinter der Tür eine Laterne hin und her schwenken.
    »Da ist die Frauenstimme wieder!«, flüsterte Arnold. »Irgendjemand singt!«
    Tobbs biss sich auf die Unterlippe. Die Vernunft sagte ihm, dass es ganz und gar nicht klar war, wer sich hinter dieser Tür befand. Aber der andere Teil von ihm, der sich nichts so sehr wünschte, wie Anguana wiederzusehen, redete ihm ein, dass sie es einfach sein musste. Wer sonst würde selbst in Gefangenschaft noch so kaltblütig sein und singen? Kurz entschlossen nahm Tobbs seine Axt aus dem Gürtel.
    »Anguana!«, rief er.

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