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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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»Weg von der Tür!«
    Das morsche Holz gab nach wie ein Kartenhaus, auf das jemand einen Mühlstein wirft, und krachte mit einem wehleidigen Ächzen in sich zusammen. Sonnenlicht schien auf den Flur. Die Leuchtmaden an den Wänden bekamen einen Lichtschock und fielen auf der Stelle in Ohnmacht.
    »Das gibt es doch nicht!«, flüsterte Arnold. »Wow! Und da ist … oh … das ist aber wirklich hübsch!« Anerkennend pfiff er durch die Zähne.
    Tobbs musste die Augen zusammenkneifen, um überhaupt etwas zu sehen.
    Gegen diesen Raum waren die oberen Palastgemächer bestenfalls ganz passable Gästezimmer. Kristallene Lüster hingen von der Decke und verwandelten den Raum in ein Karussell voller Lichtspiele. Wände glänzten silbern. Auf dem Boden bildeten perfekt geschliffene Diamanten verschlungene Blumenmotive. Doch es gab keine Leuchtmotte weit und breit, das Licht stammte aus einer ganz anderen Quelle: Mitten im Zimmer tanzte ein junges Mädchen. Bei jeder Drehung flog sein langes schwarzes Haar durch die Luft. Die Reflexe der Lüster und Edelsteine huschten über sein goldgelbes Seidenkleid. Die Schatten strebten von ihm weg, als sei es selbst die Sonne.
    »Wer ist sie?«, hauchte Arnold.
    »Komisches Land, in dem die Sonne unter der Erde scheint«, kommentierte Mamsie Matata.
    Die Tänzerin hielt inne. Mit ihr stand das Licht still. Als sie die Eindringlinge entdeckte, riss sie erschrocken die Augen auf. Mit einem scharfen Schnappen öffnete sie einen Fächer und verbarg blitzschnell ihr Gesicht dahinter. Doch Tobbs hatte ihr Gesicht bereits gesehen, und er fand diese Reaktion nun wirklich übertrieben. Gut, sie war wirklich keine Schönheit und auf ihrer Nase und den Wangen drängten sich so viele Sommersprossen, dass man locker eine ganze Mädchenfußballmannschaft damit hätte versorgen können, aber deswegen musste sie doch ihr Gesicht nicht verstecken.
    »He, die ist ja süß!«, flüsterte Arnold prompt und lächelte verträumt.
    »Du trauerst ja sehr um Anguana«, konnte sich Tobbs nicht verkneifen zu sagen.
    »Ihr wagt es, Amaterasu zu stören?«, rief das Mädchen mit schneidender Stimme.
    Tobbs fiel die Kinnlade nach unten.
    Amaterasu. Die Sonnengöttin.
    Was hatte Moriko gesagt? Solange die Göttin sich verbirgt, scheint die Sonne nicht. Das erklärte einiges. Aber was suchte sie im Tanuki-Palast?
    »Hat es dir die Sprache verschlagen?«, keifte die Göttin hinter ihrem Fächer. »Verschwinde!«
    In der Taverne wusste Tobbs, wie man Götter für sich gewann, aber im Augenblick schoss ihm nur eines durch den Kopf: Die Tanukis waren in der Dunkelheit am mächtigsten. Wenn dagegen die Sonne schien, würden sie einen Großteil ihrer magischen Kraft einbüßen. Dann würden die Kitsune eine faire Chance bekommen. Und falls die Kitsune gewannen, wäre Anguana – wo immer sie sich auch gerade befand – erst einmal außer Gefahr.
    »Hat König Tanuki dich hier etwa eingesperrt?«, platzte Tobbs unhöflich direkt heraus.
    Die Göttin sah ihn über den Rand des Fächers angewidert an. »Eingesperrt?«, wiederholte sie empört. »Niemand sperrt Amaterasu ein. Ich habe hier lediglich Schutz gefunden. Und es gefällt mir gut hier.«
    »Aber du musst die Höhle sofort verlassen!«, rief Tobbs. »Da draußen geht gerade die Welt unter!«
    Die Göttin hob pikiert die linke Augenbraue. »Na und? Ich muss gar nichts!«, gab sie grob zurück. »Sollen denen da oben doch die Bäume und Blumen verwelken ohne Sonne! Wenigstens weiß man hier mein Licht zu schätzen und behauptet nicht, ich sei hässlich.«
    »Wer hat denn das behauptet?«, fragte Arnold mit ehrlichem Staunen.
    Die Göttin hob die Brauen und sah ihn zum ersten Mal mit Interesse an. Diesen Blick kannte Tobbs inzwischen nur allzu gut, und er machte ihn immer noch fuchsig.
    Oh!, sagte der Blick. Ein Typ in Frauenkleidern. Seltsam, aber irgendwie auch faszinierend. Und, hm, er sieht wirklich gut aus. Diese Augen, dieser melancholische Mund, interessant! Richtig nett. Ob er eine Freundin hat? Und jetzt lächelt er mich an! Wow, ich muss ihn kennenlernen!
    Paff. Tobbs löste sich für sie in Luft auf.
    »Die Leute in der Stadt nennen mich hässlich«, wandte sich Amaterasu mit erstaunlich sanfter Stimme an Ankou Arnold. »Kannst du dir vorstellen, wie schrecklich es ist, ständig von allen beobachtet zu werden? Jetzt haben sie in der Stadt sogar Dinger aufgestellt, die sie Teleskope nennen. Egal, was ich mache, jeder Trottel, der ein solches Gerät benutzt,

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