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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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streng.
    »Mütze!«, soufflierte Wanja. »Es ist unhöflich, sich mit einer Mütze auf dem Kopf vorzustellen.«
    Tobbs gehorchte und riss sich Wanjas Pelzkappe vom Kopf. Der Schädel blickte aus leeren Augen sein leuchtend blaues Haar an – und begann zu lachen. Er wackelte so sehr auf dem Pfosten, dass der Schnee, der sich in seiner Krone gesammelt hatte, in großen Stücken herunterfiel. Tobbs wurde rot. Hier gab es nichts zu lachen. Er hatte große Lust, den Schädel vom Pfosten zu stoßen.
    »Gachichgie geheuergchke Hrihur, gieich he gehehenghage«, krakeelte der Schädel.
    Tobbs sah Wanja fragend an. Sie zuckte mit den Schultern. »Er lässt dich rein.«
    Der Schädel giggelte immer noch und Tobbs war sich gar nicht sicher, ob das die richtige Übersetzung war – zumal die anderen Schädel nun auch zu kichern begannen. Doch ehe er nachfragen konnte, fing sich der gekrönte Schädel wieder, räusperte sich und sagte würdevoll wie ein Zeremonienmeister: »Aach gie Geinge!«
    Etwas ächzte. Es ächzte so schwer und so tief, als würden tausendjährige Bäume ihre Wurzeln aus dem Boden ziehen und auf Wanderschaft gehen. Und tatsächlich: Hinter dem Gartenzaun bewegte sich etwas. Tobbs traute seinen Augen nicht. Das seltsame Gebilde hinter dem Zaun war gar kein halb verschütteter Felsen, es war ein Haus! Schnee fiel vom Dach und gab den Blick frei auf Schindeln aus Birkenrinde und schmale Fenster. Das Haus wuchs und wuchs – und erhob sich in die Luft. Doch es schwebte nicht, es stand auf zwei gewaltigen Hühnerbeinen. Nun hüpfte es zweimal auf und ab, als wollte es sich locker machen. Wanja lächelte.
    »Schau, in diesem Haus habe ich immer meine Ferien verbracht«, sagte sie mit verklärtem Blick. »Das Fenster da oben unter dem Dach – dahinter war mein Zimmer.«
    Mit schnellen Schritten ging sie zu einem anderen Schädel und klopfte energisch an die knöcherne Stirn. Der Schädel klappte die Kiefer auseinander und schrie: »Iwan! Iwan! Iwan!« Es klang fast wie: »Dingdong! Dingdong! Dingdong!«
    Wanja schaute gespannt zu den Fenstern und auch Tobbs spitzte die Ohren. Er hatte Wanjas Tante schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Als er neun Jahre alt war, hatte sie die Taverne besucht. Tobbs erinnerte sich an eine resolute kleine Frau mit einer sichelscharfen Nase und weißem Haar, das wie ein Vogelnest auf ihrem Kopf saß. Sie hatte Poker gespielt wie der Teufel – aber selbst den Teufel hatte sie nach der vierten Runde geschlagen. Ob sie sich sehr verändert hatte?
    Doch Baba Jaga erschien nicht. Niemand öffnete die Tür, nur am Fenster flackerte ein flüchtiger Schatten vorbei. Das Haus trat verlegen von einem Hühnerbein auf das andere.
    Wanjas Miene verdüsterte sich. Sie ging in die Hocke und sah dem Totenschädel, der als Türglocke diente, direkt in die Augenhöhlen.
    »Sie ist nicht da?«
    »Ja«, sagte der Schädel. »Nicht da. Weg.«
    »Und warum sagst du das nicht gleich?«
    »Hast du gefragt?«
    Wanja seufzte, als würde ihr langsam wieder einfallen, warum sie aus Rusanien weggegangen war.
    »Richtig«, meinte sie sehr geduldig. »Dann jetzt meine Frage zum Mitschreiben: Wo! Ist! Meine! Tante!«
    Der Schädel klapperte mit den Zähnen. »Das Wasser steht ihr bis zum Hals. Schlechtes Wetter hier. Viele Touristen. Da hat sie rotgesehen. Und Leschij besucht.«
    »Leschij?«
    »Rechts – zwei – drei, links – zwei – drei, ein Tänzchen in Ehren kann niemand verwehren.«
    Wanja ballte ihre Hände zu Fäusten. Anstelle des Schädels hätte Tobbs sich jetzt Sorgen gemacht, gleich zu Knochenstaub zu werden. Aber die knöcherne Türglocke ließ sich nicht beirren. »Tscha, jedenfalls ist sie nicht da. Schöne Grüße. Tschaui-Maui. Und auf Wiedersehen.«
    »Wer war das dann eben am Fenster?«, fragte Tobbs. »Da hat sich etwas bewegt.«
    Der Schädel erstarrte und sah toter aus als jedes Stück Knochen, das Tobbs je gesehen hatte. Vielleicht hatte er sich nur eingebildet, ihn sprechen zu hören?
    »Verdammt«, murmelte Wanja. »Der Kerl muss übergeschnappt sein. Aber Jaga ist offenbar tatsächlich ausgeflogen.«
    »Bestimmt nicht! Gerade habe ich jemanden am Fenster gesehen.«
    »Darauf kannst du wetten«, murrte Wanja. »Komm mit! Wir müssen ins Dorf reiten.«
    »Ins Dorf? Warum?«
    Die Vorstellung, noch einmal auf das Pferd steigen zu müssen, flößte Tobbs Entsetzen ein. Wanja erriet seine Gedanken und grinste. »Tja, Tobbi, du wolltest mitkommen, also hast du wohl kaum eine

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