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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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war – bei Zimmer Nr. 31 hörte er auf zu zählen. Und wie viele Verstecke es darin gab! Aber in keinem davon fand sich eine Truhe. Domovoj war eine große Hilfe, denn immerhin gelang es ihm, mit seinem Funkenball jede noch so verkantete Tür aufzubrechen und die Trümmer wegzusprengen. Jedes Mal, wenn eine lautlose Explosion die Wände vibrieren ließ, trippelten die Hühnerbeine unbehaglich auf der Stelle oder drehten das Häuschen um sich selbst.
    »Nichts zu machen«, sagte Wanja, nachdem sie das letzte Versteck geprüft hatten. »Also los – auf in den Wald!«
    Rubin stand immer noch gesattelt neben Jagas Häuschen und wartete. Tobbs wich seinen schnappenden Zähnen aus und ließ sich von Wanja auf den Pferderücken ziehen. Jeder Muskel erinnerte sich an den schmerzhaften Ritt der vergangenen Nacht und protestierte. Doch Tobbs biss die Zähne zusammen.
    Hinter dem Haus auf Hühnerbeinen hatten die Reiter eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Obwohl der Boden gefroren war, hatten sie auf der Suche nach dem Schatz alle Beete umgegraben. Neben einer alten, durchlöcherten Regentonne lagen ein paar schlaffe Hühner herum. Vermutlich waren sie vor Schreck tot umgefallen.
    Rubin setzte sich in Bewegung und federte in leichtem Trab an den Schädelpfosten vorbei. Rechts – zwei – drei, links – zwei – drei, ein Tänzchen in Ehren kann niemand verwehren. Die rätselhaften Worte des Türglockenschädels gingen Tobbs immer wieder durch den Kopf.
    »Tschaui-Maui!«, rief der Schädel. »Auf Wiedersehen!«
    Tschaui-Maui, wiederholte Tobbs in Gedanken. Das hatte der Schädel vorhin auch schon gesagt. Tobbs klopfte Wanja auf die Schulter. »Sag mal, was hat der Schädel vorhin gemeint, als er sagte, dass Baba Jaga Leschij besucht?«
    »Eigentlich ist das eine Redensart«, antwortete Wanja. »Leschij ist ein Waldgeist, aber er hat Orientierungsprobleme. Wenn man ihn trifft, kann man ziemlich sicher sein, dass man sich verlaufen wird. Wenn man Leschij besucht, verläuft man sich also im Wald.«
    Tobbs runzelte die Stirn. Tschaui-Maui. Rechts – zwei – drei, links – zwei – drei. Irgendwo in seinem Hinterkopf tanzten die Gedanken Walzer. Und er war sich ziemlich sicher, dass es sich lohnte, die Runde zu Ende zu tanzen.
    Die Spur der Reiter führte tief in den Wald hinein. Umgeknickte Äste und aus den Baumkronen gerutschte Schneehaufen wiesen Wanja den Weg. Tobbs hatte den Eindruck, dass Rubin besonders leise lief. Dennoch hallte jeder Schritt im Wald wider. In dieser absoluten Stille hätte man sogar den Flügelschlag einer Eule gehört. Kein Knacken, kein Vogelruf, kein Rascheln. Sogar der Wind hatte aufgehört zu wehen. Tobbs war unbehaglich zumute. Die Bäume schienen ihn zu beobachten, mehr als einmal kam es ihm vor, als würden die Äste sich herabsenken, um die beiden Reiter auf dem roten Ross unauffällig in eine bestimmte Richtung zu dirigieren. Nach einiger Zeit ließ Wanja dann auch die Zügel los und verließ sich darauf, dass Rubin den Weg selbst suchte.
    Tobbs schielte über seine Schulter nach hinten. Da! Mitten im dunklen Geäst erkannte er zwei goldbraune Augen. Ein Fuchs. Doch statt wegzulaufen, trat das Tier aus dem Gebüsch und flitzte los. Rubin scheute, als der Fuchs ihn überholte.
    »Folge dem Fuchs!«, flüsterte Tobbs Wanja zu. Sie zuckte zusammen, doch dann nickte sie und trieb Rubin an.
    Die kleine Lichtung, die sie bald erreichten, hatte schon bessere Zeiten gesehen. Auch hier hatten die roten Reiter ihre Spuren hinterlassen. Äste waren säuberlich durchgehauen, ein Baum war verkohlt und rauchte sogar noch, der Schnee war zertrampelt, die halb gefrorene Erde darunter aufgewühlt. Und mitten in dem Chaos leuchtete etwas so rot, dass Tobbs sofort wieder übel wurde. Blut. Viel Blut!
    Wanja schrie auf und sprang so schnell vom Pferd, dass sie Tobbs mitriss. Mit einem reflexartigen Satz schaffte er es, zumindest auf den Füßen zu landen.
    Wanja rannte zu dem armseligen Bündel, das auf der Lichtung lag. »Jaga! Jaga!«, rief sie, dann fiel sie auf die Knie und schluchzte laut auf.
    Das war schlimmer als alles, was Tobbs je gesehen hatte. Von einem Augenblick zum nächsten überschwemmte ihn das Entsetzen. Die Welt – die sichere, verlässliche Welt, die ihn bisher umgeben hatte – wurde brüchig. Ein Abgrund voller Gefahren, Leid und Tod tat sich auf. Erst jetzt begriff Tobbs wirklich, was vor sich ging: Die Taverne war tatsächlich in Gefahr und somit das Leben aller

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