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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
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kläffenden Hunde angebunden. Nahe der Jurte waren Schafe hinter einem Holzgatter eingepfercht, an einem zwischen zwei Pflöcken gespannten Draht waren einige Pferde so angeleint, dass sie sich noch gut bewegen konnten. Etwas weiter weg graste eine kleine Herde Ziegen, die lieferten die begehrte Kaschmirwolle.
    Tanjus Eltern standen vor dem Eingang ihrer Jurte, Tanju sprang von der Ladefläche herab, begrüßte sie und stellte ihnen seine Besucher vor. Aus den anderen Jurten kamen Onkel, Tante, Cousinen und ein paar jüngere Neffen und Nichten, um die Besucher zu betrachten.
    Tanjus Vater stellte Fragen. Wie alt sie seien und wie viele Kinder sie schon hätten. Dann wollte er von Jens wissen, wie viele Tage man mit dem Pferd von hier bis zur Wohnung in seiner Heimatstadt brauche.
    Es war das erste Mal, dass Jens nicht sofort eine Antwort wusste. Marie lachte. Sie konnte sich gut vorstellen, den Ritt mit Jens zu wagen.
    Nun bat Tanjus Vater alle in sein Zelt hinein.
    Worauf sie beim Betreten einer Jurte achten sollten, hatte ihnen schon Galsan in Ulan Bator erzählt. Jens duckte sich, um durch die niedrige, bunt bemalte Tür zu kommen. Er machte einen großen Schritt, um nicht auf die Schwelle zu treten, denn dort, so glauben die meisten Mongolen, wohnen die guten Geister, die die Behausung schützen und die man nicht durch Tritte beleidigen dürfe, sonst bringe es Unglück.
    Wir Kinder durften auch nie auf der Schwelle sitzen, erinnerte sich Tanju . Heute gibt es offenbar neue Geister, die achten auf so etwas wohl nicht mehr. Denn die Enkelkinder dürfen es, ohne dass meine Eltern sie ermahnen oder wegscheuchen.
    Marie steckte ihren Kopf durch die Tür, blickte kurz um sich und trat dann mit ihrem rechten Fuß ein, ohne die Schwelle zu berühren.
    Ihr seid schon richtige Mongolen geworden, sagte Tanju. Jens folgte ihm und dem Hausherrn in die linke, die Männerseite der Jurte. Marie blieb unschlüssig stehen, bis die Hausherrin jeweils einen kleinen Holzhocker auf die Männer und die Frauenseite stellte. Marie und Jens nahmen die ihnen zugewiesenen Plätze ein.
    Tanju setzte sich Marie gegenüber und erzählte.
    Es ist nicht nur bei den Tuwa so, dass die Sitzordnung seit alters her genau geregelt ist und jeder Gast nach Alter, Rang und Wertschätzung seinen Platz einnehmen darf. Die Frauen rechts, die Männer links. Gegenüber dem Eingang sitzt der Hausherr, direkt neben ihm ist der ehrenvollste Platz. Dort steht auch der Hausaltar mit den Ahnenfiguren, heute ist da meist ein Schrank mit Familienfotos. Die alten Regeln sind noch immer in den Köpfen, werden aber nicht mehr überall befolgt.
    Kaum saßen die beiden, bekamen sie auch schon die obligatorische Schale frisch gebrühten Ziegeltee mit Salz und Milch in die Hand. Aus Höflichkeit stützte Tanjus Mutter dabei mit ihrer linken Hand den rechten Arm und goss mit der Glück bringenden rechten Hand den Tee in die Schale. Als alle Schalen gefüllt waren, tauchte die alte Tante einen Finger der rechten Hand in den Tee und schnipste ein paar Spritzer Richtung Herd.
    Für den Herdgeist, flüsterte Tanju.
    Diese Geste gefiel Marie, die alles aufmerksam beobachtete. Sie nahm mit beiden Händen die Schale entgegen. Jens bekam höfliche Fragen gestellt: Seid ihr wohlauf? Er bemühte sich, noch höflicher darauf zu antworten: Wir sind wohlauf und wir sind sehr glücklich, hier zu sein. Jens wusste, dass eine Begrüßung ein Ritual ist, bei dem besonders blumige und freundliche Worte gewechselt werden. Wer etwas vom anderen will oder gar ein Problem ansprechen muss, tut dies erst später in einem passenden Moment der Unterhaltung. So tauschte er Floskeln über Schönheit und Wetter der Mongolei sowie die Aufmerksamkeit der Gastgeber aus. Tanju übersetzte. Marie sah sich um.
    In der Mitte stand ein eiserner Herd, dessen langes Ofenrohr in einer runden, metergroßen Öffnung im Dach der Jurte verschwand. Neben dem Ofen stand ein Korb mit getrockneten Kuhfladen als Brennstoff. Weder roch es merkwürdig, noch räucherte der Ofen. Auf dem Boden der Jurte lagen bunt geknüpfte Teppiche übereinander, es gab eine bemalte Truhe, ein Schränkchen, Regalbretter, einen Sattel und Zaumzeug. Die dicke Filzhaut der Jurte wurde von einem Gitter aus biegsamem Holz gestützt, das sich beim Transport leicht zusammenschieben ließ. Eine Wohnung, die einen nicht festhält, dachte Marie, mit der man immer leicht weiterziehen kann. Wehmut stieg in ihr hoch.
    Tanjus Mutter brachte Nudeltaschen,

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