Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
und die grundsätzliche Bejahung des Gesetzes trotz seiner Kritik. Wenn man sich die hellenisierten jüdischen Gemeinden in der Diaspora, d. h. außerhalb Palästinas ansieht, so könnte man die matthäische Gemeinde als aus dieser Tradition stammend charakterisieren. Denn das hellenistische Diaspora-Judentum zeichnete sich durch eine größere Offenheit dem Gesetz und fremden Einflüssen gegenüber aus. Die historische Realität der matthäischen Gemeinde bestand im vollzogenen Bruch mit Israel und einer regen Heidenmission. Dennoch ist das Judentum nicht völlig verworfen.
Wesentliche theologische Merkmale bei Matthäus sind der Nachweis der Gottessohnschaft Jesu in Verbindung mit seiner Abstammung von David. Dem dient auch die Vorgeschichte des Evangeliums, die eine Genealogie Jesu bis hin zu David bietet. Sie nimmt auf die im Judentum verbreitete Messiaserwartung Bezug. Jesus ist der Heilsbringer für Israel, da dieses ihn aber ablehnt, wendet sich Gott den Heiden zu. Mit der Fixierung auf das Judentum hängt auch zusammen, dass Jesus niemals mit dem Gesetz in Konflikt gerät, ja dieses durch ein innerliches Verstehen vervollkommnet. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Juden und Heiden durchzieht das gesamte Evangelium. Anders als bei Markus sind die Jünger hier nicht durch ein Nicht-Verstehen-können der Heilsbotschaft Jesu bestimmt. Sie hören die Botschaft und handeln danach. Damit werden sie zu Vorbildern der nachösterlichen Gemeinde. Die Umsetzung der jesuanischen Botschaft im Leben steht für Matthäus im Mittelpunkt.
Das Matthäusevangelium besteht aus vier Teilen, dem Prolog, zwei Hauptteilen und dem Schluss. Der Prolog liefert die Vor- und Kindheitsgeschichte Jesu, die Begegnung mit Johannes dem Täufer, die Taufe und Versuchung Jesu. Dieser Prolog hat bei Markus keine Entsprechung, ebenso wenig der ausführliche Schlussteil. Bei Matthäus findet sich zum ersten Mal ein Verweis auf Jesu Geburt. Der erste Hauptteil umfasst das öffentliche Wirken Jesu in Galiläa mit der Verkündigung der Gottesherrschaft. Der zweite Hauptteil beinhaltet Jesu Weg nach Jerusalem und seine Leidensvoraussage. Im Schlussteilwird die Leidensgeschichte und der Auferstehungsbericht sowie Jesu nachösterliches Erscheinen in Galiläa thematisiert.
Das Besondere bei Matthäus ist sein einheitlicher und geschlossener Stil. Wo ihm seine Markusvorlage zu uneindeutig war, glättet er sie. Die vielen Wundererzählungen des Markus übernimmt er nicht alle, Gemütsbewegungen und anstößige Szenen werden eliminiert. Die einfache Sprache des Markus verbessert er, wo es möglich ist. Auch die Einfügungen der anderen Quellen vollzieht er ohne Brüche. Es entsteht der Eindruck großer räumlicher und örtlicher Geschlossenheit der Erzählung. Matthäus ordnet seinen Stoff thematisch in Gruppen. So finden sich bei ihm die Zusammenziehung der Wunderberichte sowie fünf große Redekompositionen, die als zusammenhängend betrachtet werden müssen, durch ihr gleichförmiges Ende „Und es begab sich, da Jesus vollendet hatte … “. All diese Teile fügt er in einen erzählerischen Rahmen. Im Gegensatz zu Lukus und Markus findet sich bei Matthäus jedoch kein ausgeprägtes Interesse an anschaulichen erzählerischen Elementen.
Lukas
Dem Evangelisten Lukas werden zwei kanonische Texte zugeschrieben, einmal das nach ihm benannte Evangelium sowie die Apostelgeschichte, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Auch für das Lukasevangelium gilt, was bei den beiden anderen Schriften festgestellt wurde: die Betitelung „Evangelium nach Lukas“ stellt eine spätere Einfügung dar. Was es jedoch von den anderen unterscheidet, ist das Vorwort, das den Grund für die Entstehung des Werkes angibt. Lukas möchte die Ereignisse genau darstellen, so dass es Theophilus, dem Adressaten, möglich sein soll, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Lukas möchte informieren und Wissen verbreiten, dazu bedient er sich der Mittel der Geschichtsschreibung. Er ist dennoch ein großer Erzähler, der darauf achtet, dass trotz der Informationsvermittlung erzählerische Momente nicht zu kurz kommen. Lukas scheut sich nicht, anders als Matthäus, auch das Gefühl seiner Leser anzusprechen. Er berichtet von Freude und Leid. Wenn die Zuschreibung dieser Schrift an Lukas sekundär ist, stellt sich die Frage, wer verbirgt sich hinter dem Verfasser? Im Canon Muratori, der Ende des 2. Jahrhundertsin Rom entstand und ein Verzeichnis der kanonisierten Schriften enthält,
Weitere Kostenlose Bücher