Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
findet sich ein Hinweis auf den möglichen Autor. Es wird ein Lukas genannt, der Arzt und Begleiter des Paulus gewesen sei; dafür würden auch Berichte aus der Apostelgeschichte sprechen. Vergleicht man aber die Wiedergabe der paulinischen Theologie durch Lukas mit der, die Paulus selbst in seinen Briefen überliefert hat, so muss man zugestehen, dass sie sich in einer Weise unterscheidet, die darauf schließen lässt, dass Lukas kein direkter Augenzeuge und Begleiter von Paulus war. Auch die Verweigerung des Titels Apostel für Paulus durch Lukas, obwohl sich Paulus selbst so nannte, spricht gegen eine direkte Bekanntschaft der beiden, ebenso eine zum Teil falsche Darstellung der Paulusreisen. Die zeitliche Einordnung des Evangeliums erscheint wiederum etwas leichter. Nachdem er den Markus-Text und eine (Matthäus gegenüber) leicht veränderte Spruchquelle Q als Vorlage benutzte, ferner die Zerstörung des Tempels in Jerusalem bereits als geschichtliches Faktum voraussetzt und das Verhältnis zwischen Christentum und Staat noch nicht durch Verfolgungen getrübt war, wie dies dann ab den neunziger Jahren der Fall war, vermutet man dessen Entstehung zwischen 85 und 90 n. Chr. Der Abfassungsort hingegen ist völlig offen, es kann in Rom, aber auch in Syrien oder Kleinasien geschrieben worden sein. Die Zielgruppen waren vorwiegend Heidenchristen wie Lukas selbst. Dafür sprechen sein geringes Interesse am Gesetz, seine zum Teil falschen geographischen Kenntnisse Palästinas, sein gutes Griechisch und die Vermeidung bzw. Übersetzung aramäischer Begriffe.
In der Theologie des Lukasevangeliums spielt die Auseinandersetzung mit der Parusienaherwartung, d. h. dem baldigen Wiederkommen Christi nach seiner Auferstehung, eine große Rolle. In der frühen Gemeinde, die Jesus noch persönlich erlebte, war der Gedanke der baldigen Parusie von äußerster Bedeutung. Doch fast 60 Jahre nach Tod und Auferstehung schwand der Glaube an die bevorstehende Wiederkunft Jesu. Lukas nutzt die zeitliche Spanne, um seine Gemeinde vor der Erschlaffung im Glauben und im ethischen Handeln zu warnen, ohne den Glauben an die Parusie völlig aufzugeben. Daneben spielt die Auseinandersetzung mit Armut und Reichtum eine zentrale Rolle im Evangelium. Nicht umsonst wurde Lukas eine Vorliebe für Randgruppen nachgesagt. Die gesellschaftlich Geächteten genießen bei ihmein hohes Maß an Sympathie, denn sie sind es, die sich der Heilsbotschaft Jesu öffnen.
In der lukanischen Gemeinde scheint es bereits beachtliche Spannungen zwischen wohlhabenden und armen Mitgliedern gegeben zu haben. Ein ums andere Mal warnt der lukanische Jesus vor Reichtum und Besitz, da diese die Menschen binden und damit die Nachfolge verhindern. Die Feldpredigt ist ein eindrucksvolles Stück zur Verdeutlichung dieser Lehre. Es ist aber nicht der Reichtum an sich, der kritisiert wird, sondern die falsche Haltung des Menschen ihm gegenüber. Ferner spiegelt sich in seinem Evangelium das Verhältnis zwischen dem römischen Staat und den christlichen Gemeinden wider. Es scheint eine Duldung des Christentums gegeben zu haben. Alle römischen und damit staatlichen Instanzen werden von Lukas vom Vorwurf, an Jesu Tod Schuld zu tragen, freigesprochen. Die allein Schuldigen sind die Juden. Auf ihr Betreiben hin wurde Jesus getötet. Die Römer erfüllen den Wunsch der Juden, Jesus zu verurteilen, sehen aber keine Schuld an ihm.
Lukas behält die dreistufige Gliederung seiner Markusvorlage bei, in die er dann seinen restlichen Stoff in zwei Blöcken einordnet. Diese Montage erfolgt nach gestalterischen Regeln, die den einheitlichen Stil des gesamten Werkes sichern sollen. Das besondere des lukanischen Sondergutes, das fast die Hälfte seines Stoffes ausmacht, besteht darin, dass es Überlieferungen enthält, die sich bei keinem anderen Evangelisten finden, so z. B. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, vom verlorenen Sohn, einige Gebete und Hymnen in den Passagen der Ankündigung der Geburt Jesu und Johannes des Täufers. Insbesondere das Kindheitsevangelium, das er verfasst, enthält sehr viel Sondergut und unterscheidet sich erheblich von der Darstellung bei Matthäus. Inhaltlich gliedert sich seine Schrift in acht Teile. Der erste ist eine kurze Einleitung, in der er den Grund für das Verfassen seines Werkes angibt. Danach kommt die Vorgeschichte mit der Ankündigung der Geburten von Jesus und Johannes und den Geburten selbst. Es folgt die Vorbereitung des Wirkens Jesu. Danach
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