Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
über das Leben Jesu mit anderen Traditionen vermischen, insbesondere mit den Legenden und Mythen der Volksliteratur. Einzelne Randepisoden und Begebenheiten der synoptischen Evangelien, wurden zum Teil sehr stark ausgebaut und zum Zentrum der Darstellung gemacht. Im Gegensatz zu den gnostischen Schriften genossen sie in weiten Kreisen des Christentums hohes Ansehen. Zu ihnen zählt man unter anderem die Kindheitsevangelien, das Nikodemusevangelium und die gesamte Pilatusliteratur.
Gemeinsam ist aber allen diesen Schriften, dass sie zusätzliche oder andere Informationen über Jesu Leben und Lehren vermitteln wollen. Man kann diese Texte auch entsprechend der Informationen, die sie über die verschiedenen Stadien des Lebens Jesu geben, gruppieren. Ein Teil der Evangelien wollte nur über seine Kindheit berichten. Dem Großteil der Schriften, insbesondere aus dem gnostischen Milieu, lag jedoch die Vermittlung der Lehre und die Wirksamkeit Jesu während seines Predigens in Israel am Herzen. Eine andere Gruppe beschäftigte sich ausführlich mit der Passion und den nachösterlichen Ereignissen. Die Anordnung der apokryphen Evangelien, die hier übersetzt wurden, folgt diesem Schema, denn dadurch wird am besten deutlich, was sie alles zusätzlich über das Leben Jesu zu verraten haben.
M OTIVE FÜR DIE E NTSTEHUNG DER A POKRYPHEN
Wenn man bedenkt, dass sich im 2. Jahrhundert bereits ein kirchlicher Kanon herauskristallisierte und die Kanonisierung um das Jahr 200 n. Chr. mehr oder weniger abgeschlossen war, stellt sich die Frage, warum und für wen weitere Schriften angefertigt wurden, die sich in irgendeiner Weise auf Jesus Christus bezogen? Hierauf lassen sich einige Antworten finden. Wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass die Motive für die Erstellung der verschiedenen Texte unterschiedlicher Natur waren.
In den erzählerisch orientierten Schriften spielte das Moment der Erbauung eine wichtige Rolle. Erbauung bedeutete aber nicht Unterhaltung, sondernden Menschen innerlich aufzubauen. Es galt in erster Linie, durch die Erzählungen dem Gläubigen Halt und Kraft für sein alltägliches Leben zu geben. Dass viele Stilelemente aus der weltlichen Literatur, z. B. der antiken Romanliteratur übernommen wurden, sollte dem nicht entgegenstehen. Mittels der unterhaltenden Aspekte wurde eine theologische Absicht transportiert. Das Leben der dargestellten Personen sollte den Gläubigen Vorbild und Anreiz für ihr eigenes Tun sein. Legendarische und mythologische Aspekte dienten der ansprechenden Vermittlung des eigentlichen theologischen Zwecks.
Für die Kindheitsevangelien lässt sich als Entstehungshintergrund die Wissenslücke über Jesu Kindheit bei den Synoptikern und bei Johannes angeben. Nachdem Markus und Johannes über keine Kindheitsgeschichte verfügen, Lukas und Matthäus zwar die Verkündigung und Geburt Jesu erzählen, nichts aber über seine Kindheit, lag es auf der Hand, diese Jahre zum Thema der Erzählungen zu machen, weil von seiten der Gläubigen ein großes Interesse daran bestand. Daneben gab es aufgrund der Angriffe aus dem Judentum bezüglich der Abstammung Jesu ein Bedürfnis, seine göttliche Abstammung zu rechtfertigen. Aber auch die Existenz der im Markusevangelium genannten Brüder Jesu musste sinnvoll erklärt werden, standen sie durch ihr Dasein gegen die Lehre von der Jungfräulichkeit Mariens. Aber auch die Person der Maria trat in den Vordergrund, da diese Informationen bei Matthäus und Lukas äußerst spärlich waren.
Das Ergänzungsmotiv tritt ferner bei den Schriften in den Vordergrund, die ihr Augenmerk auf eine bestimmte Gestalt der neutestamentlichen Erzählungen gerichtet hatten, so z. B. die Apostelgeschichten. Eine in den kanonisierten Evangelien genannte, aber nicht besonders hervorgehobene Person, wird hier neben der Gestalt Jesu zur wichtigsten Figur, wie z. B. der Herrenbruder Jakobus im Hebräerevangelium. Der Grund für die Entstehung dieser Schriften liegt vor allem in der Geschichte der Gemeinden, für die sie geschrieben wurden. Oftmals fühlten sie sich mit einer bestimmten historischen Person eng verbunden, sei es, dass sie durch diese missioniert wurden oder mit deren Theologie verbunden waren. Auch die in diesen Gemeinden praktizierten Riten und Bräuche sollten durch ein eigenes Schriftgut abgesichert, d. h. legitimiert werden. Man versuchte das Glaubensleben, das durch Verkündigung undRitus bestimmt war, als lange und alte Tradition auszugeben, was dieses zum
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