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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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in die nächste Schänke. Zwei Dirnen hatten den Weg des Mädchens gekreuzt, hatten sie untergehakt und ein paar Schritte kreischend vor Lachen mit sich gezogen.
    «Komm, es ist Sommer, wisch dir die Tränen ab. Lass sie dir wegküssen. Wer weiß, wie lange wir noch fröhlich sein werden!», hatten die Huren gerufen. Doch das Mädchen hatte sich steif gemacht, und die Huren verloren die Lust an ihr, ließen sie los, einfach fallen, als wäre sie nicht mehr als ein Bündel Heu.
    Und dann waren die Männer gekommen, mit diesem Glitzern in den Augen, das der Retter von den Schlachtfeldern kannte. Dieses Glitzern, er wusste es, war das Glitzern des Jägers, war der Hunger nach Beute. Ganz gleich, ob es Feinde waren oder Weiber, es war doch ohnehin alles egal. Hauptsache, noch ein wenig Lust und Laune, noch ein wenig Leben.
    Vor dem offenen Fenster eines reichen Kaufmannes machte der Retter halt, ließ sich auf einen Mauervorsprung sinken. Der Geruch nach Gebratenem, nach Zuckerwerk, süßem Wein, nach Mandeln und Gesottenem drang in seine Nase, aber er verspürte weder Hunger noch Appetit. Seit Jahren aß er nur noch, um am Leben zu bleiben, und es war ihm ganz gleichgültig, was er sich in den Mund stopfte. Als hätte der Krieg nicht nur das Licht seiner Augen verdunkelt, sondern sich auch als Pfropfen in seine Ohren gebohrt, die Nase verschlossen, den Geschmack auf der Zunge geraubt, ja, der Krieg hatte ihn selbst für Berührungen unempfindlich gemacht. Alles in ihm war tot, abgestorben. Er hatte, das begriff er jetzt auf dem Mauervorsprung, sein Leben schon lange verloren. Er war tot. So tot, wie man nur sein konnte. Und es wurde allmählich Zeit für ihn, ins Grab zu steigen.
    Der Retter hatte keine Angst vor dem Tod. Wie auch? Er lebte seit Jahren mit ihm, der Sensenmann saß ihm auf der Schulter, seit er denken konnte und nicht mehr fühlte. Bald würde er Ruhe haben. Frieden finden. Er würde vielleicht doch zu den Füßen Gottes sitzen, denn in der Hölle war er ja schon gewesen. Er würde wieder riechen und schmecken, klar sehen und hören können, er würde wieder leben.
    Ich muss erst sterben, um zu leben, dachte er, und der Gedanke fühlte sich gut und richtig an. Es gibt viele Menschen, die erst sterben müssen, ehe sie leben können, dachte er.
    Aus dem Fenster drang Gelächter zu ihm herab. Es schallte bis auf die Gasse, doch der Retter lachte nicht mit. Er hielt sich die Ohren zu, weil das Gelächter so spitz war und so kalt wie Eissplitter. Es bohrte sich ihm in den Kopf. Er wäre gern aufgestanden und geflohen vor diesem Gelächter, doch er blieb sitzen, als müsse er sich selbst bestrafen, als müsse er die Hölle noch auskosten bis zum Ende, ehe er sterben durfte.
    Ein paar hohe Herren, die Füße in Stulpenstiefeln aus Kalbsleder, den Leib in weichen Samt gehüllt, kamen die Gasse herauf. Sie beachteten den Mann auf dem Mauervorsprung nicht und begehrten durch heftiges Klopfen Einlass in das prächtige Haus. Ein Riegel knirschte im Schloss, die Männer schlüpften durch die Tür, dann wurde der Riegel wieder vorgeschoben.
    Und schon kamen weitere Gäste. Männer in Soutanen. Der Retter wusste, dass sie sich seit neuestem Prädikanten nannten und die Vertreter des neuen Glaubens waren. Frauen in Kleidern aus Brokat oder Atlas schritten an den Armen ihrer Männer heran, blickten stolz nach links und rechts, darauf bedacht, von so vielen wie möglich gesehen zu werden. Der Retter sah schwere silberne Ratsketten aufblitzen, er hörte von drinnen das Klingen der Gläser, roch den Duft der teuren Bienenwachskerzen.
    Alles trieb ihn weg von dort, und doch blieb er sitzen, konnte sich kaum rühren.
    Zwei Reiter kamen die Gasse hinauf, ließen sich von Bediensteten die prächtigen Pferde abnehmen. Sie trugen die Kleidung der Heerführer Philipps, und der Retter knirschte mit den Zähnen, krümmte sich vor Schmerz bei ihrem Anblick. Feist waren sie, mit dicken roten Backen, mit glänzenden, feuchten Lippen und dröhnendem Gelächter. Der eine griff in seine Hose und rückte zurecht, was dort falsch lag. «Ich denke, ich werde mir heute eines der Dienstmädchen vorknöpfen», sagte er, und der andere grinste und haute ihm auf die Schultern. Seine Ringe blitzten auf.
    Dann erklang Musik. Der Retter konnte eine Laute heraushören, das Mohrenpäuklein, eine Geige. Und er hörte sie da drinnen stampfen und lachen, er sah vor sich, wie sich die Frauen in den Damastkleidern drehten, wie sie die Augen scheinbar scheu

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