Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
ließ seine Blicke über die Menge schweifen. Dann räusperte er sich und sagte zum Antonitermönch. «Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Irgendetwas liegt in der Luft, das mir gar nicht gefällt. Eine Art Hitze. Ich meine, sie geht von den Weibern hier aus.»
«Brünftig», erwiderte Bruder Göck. «Das ist der Geruch der Brunft.» Er holte tief Luft und hob den Zeigefinger: «Schon der gute alte Quintus Tertullian, seines Zeichens Kirchenschriftsteller, befand vor Jahrhunderten: ‹Auch die Ehe basiert auf demselben Akt wie die Hurerei. Darum ist es das Beste für einen Menschen, kein Weib zu berühren.›»
«Da wurde ein wahres Wort gesprochen», befand der Pater und wischte sich über seine schwarze Kutte. «Man kann ja kaum atmen, bei dem, was die Weiber hier an Wollust ausdünsten. Ich kriege kaum Luft.» Er riss an seinem Kragen und drehte den Kopf in alle Richtungen.
Das Angelusläuten von St. Nikolai ertönte, und sofort verstummte das Getuschel und Geraune, das Gekicher und Gewisper.
«Los, Pater. Nach vorn mit dir. Stell dich vor den Brunnen und rede mit den Frauenzimmern. Auch wenn ich nicht glaube, dass deine Worte etwas bewirken werden, da das gemeine Weib nun einmal von Hause aus unverständig und wollüstig ist. Man darf nichts unversucht lassen.»
Der Mönch rieb sich die Hände, dann stieß er Pater Nau, den plötzlich die Angst befallen hatte, vor sich her.
«Meinst du nicht, wir sollten zurück ins Pfarrhaus? Wer weiß, was dein Novize mit der Tinte anstellt.»
«Jetzt kneife nicht, Pater. Halt deine Rede, und danach genehmigen wir uns eine schöne Kanne Wein in der Ratsschänke!» Bruder Göck klatschte laut in die Hände. «Der Prediger, liebe Leute», rief er so laut, dass es über den ganzen Platz hallte, «hat Euch einen Bären aufgebunden. Nun ist er unschädlich gemacht. Unser guter Pater Nau von der Liebfrauenkirche wird zu Euch sprechen und Euch die richtigen Worte nennen.»
Buhrufe erklangen. Die Weiber murrten. Eine trat heran, tippte dem Pater auf die Brust und rief: «Dann muss er uns aber auch küssen. So ist es mittlerweile Brauch auf dem Römer.» Gelächter brandete auf, Pater Nau duckte sich und wollte sich hinter dem Mönch verstecken, doch Bruder Göck erwies sich als wahrer Freund, packte den Pater beim Kragen und zerrte ihn vor die Menge.
«Los jetzt!», raunte er ihm ins Ohr. «Vergiss nicht, du bist jetzt offiziell evangelisch. Und soviel ich weiß, heiraten die evangelischen Geistlichen sogar.»
«Was?» Dem Pater stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. «Heiraten? Muss ich jetzt zu allem Unglück auch noch heiraten?»
Bruder Göck ruckte ungeduldig mit dem Kopf. «Darüber können wir später nachdenken. Jetzt musst du erst einmal sprechen.» Er gab seinem Freund einen Schubs, und plötzlich stand der Pater mutterseelenallein vor einer riesigen Menge Frauen. Die Angst kroch ihm als kalter Schauer über den Rücken. Am liebsten hätte er die Beine in die Hand genommen und wäre davongelaufen. Aber Göck hielt ihn noch immer am Kragen.
Pater Nau räusperte sich. «Ja, also, dann werde ich mal etwas sagen!»
«Küssen! Küssen! Küssen!», skandierten die Weiber und rückten näher auf den Pater zu, der sich in allerhöchster Not auf den Brunnenrand der Justitia rettete.
Von dort, das erkannte er auf der Stelle, gab es kein Entkommen. Er saß in der Falle. Also wedelte er mit den Armen, als könnte er so die Weiber verscheuchen, und schrie über den Platz: «Der Prediger lügt! Das hier ist nicht die Hölle. Wenn Ihr Sündiges tut, so werdet Ihr bestraft. Alle!»
Ein paar Weiber lachten. Mutter Dollhaus drängelte sich vor. «Und wie wollt Ihr das beweisen, Pater? Der Prediger sagt so, und Ihr sagt es anders. Wie sollen wir wissen, wer recht hat von Euch beiden?»
Der Pater blickte wild um sich, doch er war allein und verlassen. Von Bruder Göck war weit und breit nichts mehr zu sehen. «Ganz einfach!», rief er, so laut er konnte. «Bevor man in die Hölle kommt, geht es ins Fegefeuer. Seht Euch an! Ist Eure Haut von Brandblasen verunstaltet? Sind Euch die Haare verbrannt? Nein. Da ist nichts. Rein gar nichts. Also ist dies hier auch nicht die Hölle.»
Der Pater war vollkommen erschöpft. Sein spärliches Haar klebte ihm im Nacken, Schweißbäche rannen an ihm herab. Seine Kehle war so trocken wie ein Feld am Ende des Sommers. Aber die Menge war verstummt. Nur für einen kurzen Augenblick, doch der reichte dem Pater aus, um vom Brunnenrand zu
Weitere Kostenlose Bücher