Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
Alter hatte die Kutte bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Seine Unterarme zeigten Kratzer über Kratzer.
«Guck!», sagte Pater Nau zu seinem Freund, dem Antoniter. «Er hat mit den Dornensträuchern gekämpft. Jetzt sieht er aus, als käme er direkt aus dem Kriege. Da sage mir noch mal einer, die Türken wären gefährlicher als alles, was wir kennen. Der so was sagt, hat noch nie Dornen gepflückt.» Der Pater kicherte und hielt dann sein Gesicht in die Sonne.
«Er verdrischt die Sträucher nicht, weil sie ihn gekratzt haben», erklärte Bruder Göck mit schläfriger Stimme. «Er versucht auf diese Art nur, die Rinde zu lösen.»
«Und dann?» Pater Nau interessierte sich nicht im mindesten für die Tintenherstellung. Im Pfarrgärtchen war es so ruhig, und die Luft war so mild. Der Wind strich sanft über seine Glatze, und die Sonne wärmte ihm das Gesicht. Beinahe hätte der Pater meinen können, er wäre im Paradies. Doch sobald er die Augen aufschlug, fiel sein Blick auf seine Kirche, und er dachte daran, dass er übermorgen seinen ersten evangelischen Gottesdienst abhalten musste und noch immer nicht wusste, wie genau er da vorzugehen hatte. Also schloss er schnell die Augen wieder und fragte: «Und wie geht es dann weiter?»
Bruder Göck blinzelte. «Mit der Tinte?»
«Womit sonst?»
«Er legt die Rinde in ein Fass mit Wasser.»
«Und dann?»
«Dann warten wir, bis das Wasser der Rinde alle Farbe entzogen hat.»
«Und danach?»
«Das sehen wir dann.» Bruder Göck rekelte und streckte sich auf der Bank wie ein Kater nach dem Mittagsschlaf. «Sag mir lieber, Paterchen, was du von dem Prediger hältst. Du hast ihn doch auch gehört heute.»
«Tja», murmelte der Pater träge und betrachtete die roten Ringe, die sich hinter seinen geschlossenen Lidern bildeten. «Was soll ich dazu sagen? So richtig gesehen habe ich ihn nicht. Mir schien fast, als habe er sich bewusst immer so gedreht, dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Was soll’s? Prediger gibt es viele. Alle naselang kommen sie in die Stadt und tun, als hätten sie selbst und eigenhändig an den Evangelien mitgeschrieben. Die meisten von ihnen reden Unflat. Aber der, der ist anders.» Widerwillig öffnete der Pater jetzt doch die Augen. «Ich meine sogar, dass er gefährlich ist.»
«Gefährlich?» Bruder Göck hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt, sein Kinn war auf die Brust gesunken, und seine Worte klangen schon ein bisschen verwaschen, als wäre er im Halbschlaf.
«Ja. Gefährlich!» Pater Nau schloss seine Augen und gähnte herzhaft. «Gefährlich, weil er die Gefahren der Hölle so beschreibt, dass die Weiber ganz lüstern werden und anfangen, sich nach der Hölle zu sehnen. Das Gute daran ist aber, dass die Weiber in unsere Kirchen strömen werden, wenn der Kerl weg ist. Dann wollen sie ihre sündigen Gedanken vergeben haben. Und wir werden sie ihnen auch vergeben. Die Evangelischen aber bleiben weiter mit ihren Sünden behaftet, denn es heißt ja, sie dürfen nicht beichten, sondern müssen selbst bei unserem Herrn um Vergebung …» Die letzten Worte gingen in einem Schnarchen unter.
Der Retter wartete vor dem Haus, in dem das Mädchen wohnte, das er auf dem Römer gesehen hatte.
Über eine Stunde schon stand er dort, hoffte, dass sie noch einmal zum Brunnen müsste oder zu einem Laden, um Brot oder Milch zu kaufen. Doch im Haus blieb alles ruhig. Einmal nur sah er sie am Fenster, wie sie einen Läufer ausschüttelte. Ein anderes Mal hörte er sie im Garten singen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Die Zeit war schon weit fortgeschritten, man wartete auf ihn. Er verließ seine Nische und klopfte an die Tür.
Das Mädchen öffnete ihm. «Was kann ich für den Herrn tun?», fragte sie.
Er war wie geblendet von ihrer Jugend und ihrer Schönheit, von der Frische ihrer Haut, vom Glanz ihrer Augen.
«Ich habe eine Nachricht für dich.»
«Eine Nachricht? Für mich? Von wem?»
«Der Liebste, er schickt mich.»
Das Mädchen musterte ihn misstrauisch von oben bis unten. «Euch? Wo habt Ihr ihn denn getroffen? Und wann?», fragte sie.
«Vor ein paar Tagen. Du weißt ja selbst, dass das Heer noch nicht weit von Frankfurt entfernt ist», antwortete der Retter. «Aber hier, ich gebe dir etwas, damit du nicht an meinen guten Absichten zweifelst.»
Er hielt dem Mädchen einen Becher aus purem Silber hin.
«Schickt mir das etwa auch der Liebste?», fragte sie und umfasste den Silberbecher zärtlich.
«Aber ja.
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