Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
Liebste. Und sie? Was hat sie getan in dieser Zeit? Sie hat allen Männern schöne Augen gemacht. Es hieß sogar, sie wäre keine Jungfrau mehr. Mit einem Patrizier soll sie im Heu gewesen sein. Und dann, dann kam ein Farbenreiber und hat um sie gefreit. Ein alter Mann schon mit drei halbwüchsigen Söhnen. Und die Elfrun, die hat gesehen, dass der Farbenreiber ein schönes Haus hatte und Geld für Putz und schöne Stoffe. Zweimal schon war sie am Sonntag mit ihm am Mainufer spazieren. Mit eigenen Augen habe ich es gesehen. Und seit neuestem soll sie es mit einem Goldschläger haben. Einem jungen. Hat wohl gemerkt, dass das Leben mit drei fremden Kindern nicht unbedingt ein Zuckerschlecken ist. Na, jedenfalls, der Farbenreiber ist abgeschrieben. Und der Schildermaler, der für sie in den Krieg gezogen ist, der ist ganz und gar vergessen. So eine ist das, die Elfrun. Würde mich nicht wundern, wenn es der Schildermaler war, der sie umgebracht hat. Eifersüchtig soll er schon gewesen sein. Aber natürlich nicht ohne Grund.»
«Danke, danke.» Dem Richter schwirrte der Kopf von all diesen Neuigkeiten. Also verabschiedete er sich und begab sich auf den Friedhof zum Totengräber.
«Wir müssen bei den von Zehlens die Grube ausheben», erklärte er dem Mann. «Dies ist ein Befehl der Gesetzeshüter. Also los, spute dich, ich schicke sogleich nach dem Karren. Am Nachmittag will ich die Tote im Henkershaus haben.» Er haute dem Totengräber auf die Schulter und machte sich von dannen.
Als es zu Angelus läutete, stand er, die Hände auf dem Rücken verschränkt und den Schultheiß sowie die Büttel neben sich, auf den Stufen vor dem Römer und sah zu, wie die Weiber zur täglichen Ansprache des Predigers eilten.
«Wo haust der Kerl eigentlich, wenn er hier keine Reden schwingt?», wollte der Schultheiß wissen.
«In einem Zelt vor den Toren der Stadt. Auf der Zigeunerwiese. Zusammen mit ein paar Leuten vom fahrenden Volk», erklärte Blettner. «Das Weib, das grausige, das wohnt bei ihm. Sie schlafen aber in getrennten Zelten.»
«Und wovon lebt er, der Schmarotzer?»
«Er sammelt Geld von seinen Zuhörern ein. Eine Art Kollekte, nachdem man ihm verboten hat, sich am Almosenkasten zu bedienen.»
«Aha.» Der Schultheiß wippte auf den Zehen und betrachtete erstaunt die vielen Frauen, die auf den Platz stürmten. Auf einmal hielt er inne, beschirmte die Augen mit der Hand und starrte auf eine Frau. «Potz Donner! Das gibt es doch gar nicht!»
Blettner folgte seinem Blick und erkannte die Schultheißin, die sich mit drei Freundinnen am Rande der Menge hingestellt hatte. Die Frauen hatten die Köpfe zusammengesteckt und kicherten.
Der Schultheiß spannte die Muskeln, bereit loszurennen und seine Frau – wenn nötig – an den Haaren zurück nach Hause zu schleifen, doch Blettner hielt ihn zurück. «Stellt Euch das Gerede vor!», flüsterte er. «Bleibt lieber hier und hörte dem Manne zu. Es ist manchmal besser, die Geschehnisse im Blick zu haben, als selbst einzugreifen.»
Es dauerte eine Weile, bis sich der Schultheiß etwas beruhigt hatte, aber dann kam schon der Prediger auf den Platz, gefolgt von seinem schrecklichen Weib mit den wilden Augen und den wirren Haaren.
«Gestern sagte ich Euch, dass Gott ein Massenmörder ist. Ihr wart empört. Einige von Euch haben den Platz verlassen. Heute aber will ich Euch noch einmal die Begründung geben, dass Ihr auch versteht, worum es mir geht. Gott hat Euch, so glaubt Ihr doch, das Leben geschenkt. Nun. Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen. Das singen die Kinder auf der Straße. Wenn Gott uns das Leben geschenkt hätte, so könnten wir damit machen, was wir wollten. Aber dürfen wir das wirklich? Nein. Unser Leben ist beschränkt von Verboten und Geboten. Darf ein Geschenk eingeschränkt werden, frage ich Euch? Darf der Herr dieses Geschenk wieder nehmen?
Ich sage Euch heute: Gott hat uns das Leben nicht geschenkt. Vielleicht hat er uns das Leben geliehen. Zumindest für die frohe Zeit der Jugend. Was danach kommt, ist Qual, ist Pein, ist die Hölle. Aus jungen, schönen Frauen werden hässliche, bösartige alte Weiber. Neulich sprach ich vom Wert der Erinnerung. Wie bleiben uns denn die Toten im Gedächtnis? Eben als hässliche alte Weiber. Keiner denkt an die Schönheit ihrer Jugend zurück, niemand erinnert sich an den Liebreiz. Ist es da nicht besser, das ‹Geschenk› Gottes zur rechten Zeit zurückzuweisen? Ist es nicht besser, das Leben dem Herrn
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