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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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holte ihr rotes Kleid aus dem Schrank und mühte sich, hineinzukommen. Aber ihr Leib war mittlerweile so gewachsen, dass sie das Kleid kaum über Busen und Bauch bekam. Jetzt steckte sie fest, die Arme nach oben gereckt, den Kopf im Stoff und Schultern und Brustansätze wie eingeschnürt. Hella war gefangen. Sie rief, nein, sie brüllte nach der Magd, die alsbald mit ihren Holzpantinen die Treppe heraufgeklappert kam.
    «Um des Herrgotts willen, Herrin, was macht Ihr da?», fragte sie erschrocken.
    «Ich will als Jahrmarktsgauklerin auftreten, was denkst du denn? Hilf mir aus dem Kleid, du siehst doch, dass ich feststecke.»
    Die Magd zerrte, die Nähte krachten, aber endlich war Hella aus ihrem Gefängnis befreit. «Schnell, hol mir das blaue. Ich habe es eilig.»
    Die Magd gehorchte, brachte das blaue Kleid, doch ihre Miene zeigte deutlich an, dass sie nicht glaubte, Hella würde dort hineinpassen.
    Auch Hella hatte Zweifel. «Und jetzt? Was soll ich jetzt tun? Alle meine Kleider sind endgültig zu eng.»
    «Habt Ihr keinen Kittel?», fragte die Magd. «Einen leinenen Kittel, wie wir sie tragen.»
    Hella rümpfte die Nase. «Einen habe ich noch, aber auch der ist zu eng.»
    Ihre Blicke klebten am Kittel der Magd. Der war aus einfachem blauen Tuch und an einigen Stellen schon gestopft. Außerdem prangte ein Hafergrützefleck mitten auf der Brust.
    Die Magd wich zurück, verschränkte ihre Arme. «Nein», sagte sie leise. «Nicht meinen. Was soll ich dann tragen?»
    «Rede nicht», befahl ihr Hella. «Das ist ein Notfall. Zieh das Ding aus.»
    Die Magd begann schon einmal vorsorglich zu zittern, obwohl der Kachelofen im Zimmer gut geheizt war.
    «Stell dich nicht an.» Hellas Stimme wurde schärfer. «Zieh dein Kleid aus und nimm dir meinethalben ein Kleid von mir. Es muss ja nicht unbedingt mein Bestes sein.»
    «Das rote?» Die Magd hörte zu zittern auf.
    Hella seufzte. «Na gut.»
    «Kann ich es behalten, oder muss ich es zurückgeben, wenn Ihr keinen Bauch mehr habt?» Die Magd blickt entschlossen drein. Hella dachte an die zerrissenen Nähte und daran, dass Heinz ihr ruhig mal wieder ein neues Kleid beim Gewandschneider spendieren könnte.
    «Gut», sagte sie. «Du kannst es behalten, aber dafür bekomme ich noch deine Holzpantinen. Meine Füße sind geschwollen, ich passe nicht mehr in die Stiefel.»
    Hurtig schlüpfte die Magd aus dem Kittel und aus den Pantinen und drehte sich schon im roten Kleid vor dem Spiegel.
    «Hilf mir!», donnerte Hella.
    Die Magd presste Hellas Bauch in den Kittel, schob ihre Füße in die Pantinen.
    «Und jetzt geh und sieh, ob wir etwas haben, das ich Pater Nau mit ins Verlies nehmen kann. Etwas Stärkendes.»
    Die Magd nickte und wirbelte aus dem Zimmer.
    Hella besah sich im Spiegel. Das blaue Tuch machte ihre Haut blass. Die Augenringe zeigten violette Ränder, ihre Lippen wirkten blutleer. Die Holzpantinen waren ihr zu groß, sodass ihre Füße darin herumrutschten. Ich sehe aus wie eine Magd, die man verstoßen hat, dachte sie. Na, wenigstens wird mich niemand erkennen.
    Sie stakste die Treppe hinab, ließ sich von der Magd in deren weiten, abgewetzten Umhang helfen, wickelte sich noch ein grobes Tuch um den Hals und verließ, den Henkelkorb über dem Arm, das Richtershaus.
    An der Ecke standen zwei Nachbarinnen, die Weidenkörbe mit den Einkäufen zu Füßen, und tratschten.
    Hella lächelte leise in sich hinein, zog sich die Kapuze tief ins Gesicht und drückte sich an den Frauen vorbei.
    «Kannst du nicht aufpassen, du Trampel von einer Magd! Hättest mir bald den Korb umgestoßen!», rief eine der Nachbarinnen wutentbrannt. Hella kicherte leise und hob zur Entschuldigung die Hand.
    Dann mühte sie sich durch die Gassen zur Warte. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, das Kopfsteinpflaster war nass und glitschig. Hella setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, jeden Augenblick darauf gefasst, auszurutschen. Sie umkreiste ein welkes Kohlblatt, stieß eine Katze, die sich an ihr reiben wollte, mit dem Fuß zur Seite, wurde von einem Kutscher beschimpft, um ein Haar mit Wischwasser begossen und hatte endlich, vor Anstrengung keuchend, das Verlies erreicht.
    Erschöpft lehnte sie sich kurz an die Mauer, um zu Atem zu kommen. Sie presste eine Hand auf ihr wild schlagendes Herz, den Korb zwischen die Füße geklemmt.
    Ein Mann, nicht alt und nicht jung, nicht dick und nicht dünn, mit Haaren von unbestimmter Farbe und Augen, die keinerlei Eindruck hinterließen, grüßte

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