Die Verdammnis
Insofern zogen sie sogar einen weiteren Nutzen aus der Kelchtaufe - sie würden neben ewigem Leben auch eine Heimstatt erhalten.
Ich lächelte bei diesem Gedanken.
Den Kindern indes schien mein Lächeln etwas ganz und gar anderes zu bedeuten. Sie erschauerten darunter, und hätten die hinter ihnen stehenden Vampire sie nicht daran gehindert, wären sie wohl zurückgewichen, als ich mit dem Kelch vor sie trat.
»Das Mädchen zuerst«, verlangte Kayel hinter mir in vor Erregung heiserem Ton.
»Wie du willst«, erwiderte ich. Es war egal, an welchem Ende der Reihe ich mit dem Ritual begann. Das Ergebnis blieb sich gleich. Am Ende würde unser Volk um zehn Nachkommen reicher sein. Sie würden rasch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt altern, und von jenem Moment an würde nur noch ungestillter Durst ihren Alterungsprozeß fortschreiten lassen.
Ein Schritt brachte mich hin zu dem Mädchen. Dunkle Locken ringelten sich um ihr Gesicht, so klein, daß es in meiner Hand verschwinden mußte, hätte ich danach gegriffen. Ihre Augen schienen mir schon jetzt wie dunkle Löcher, die darauf warteten, mit neuem Ausdruck gefüllt zu werden.
»Auf welchen Namen soll ich sie taufen?« fragte ich über die Schulter Kayel.
Er antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Kira.«
Diesen Namen schien er seit langem in seinem nachtdunklen Herzen getragen zu haben. Nun endlich sollte er mit Fleisch und Blut er-füllt werden - mit totem Fleisch und schwarzem Blut.
Mit den Fingern der Linken hob ich das Kinn des Mädchens sacht an, mit der Rechten setzte ich ihr den Kelch an die Lippen. Mein Blick berührte die Oberfläche des ihren, erstickte das angstvolle Flackern.
»Wie ist dein Name?« fragte ich das Kind ruhig.
Sie schluckte, ehe sie antwortete.
»Fortan soll dies nicht länger dein Name sein. Du heißest ab heute Kira«, fuhr ich fort, während ich den Lilienkelch vorsichtig anhob und kippte, so daß die Schwärze darin erst zäh gegen ihre leicht geöffneten Lippen schwappte und schließlich als dünner Strom in ihren Mund floß.
Ohne Widerwillen schluckte das Mädchen Kayels Blut.
Und starb einen Tod, den sie wenig später wieder abstreifte, als neues Leben, Leben unserer Art an seine Stelle trat.
Ich hatte meine erste Kelchtaufe vollzogen. Und die erste Vampirin Konstantinopels geschaffen.
Aus einem Mädchen namens -
- Eleya.
* Landru konnte nicht mehr sagen, wann es ihm bewußt geworden war. Vielleicht weigerte er sich aber auch nur zu akzeptieren, daß das Wissen um Eleyas Identität von Anfang an in ihm gewesen war, wenn auch verborgen wie unter einer Kruste und tief in seinem Innersten.
Inzwischen jedoch vermochte er es sich selbst gegenüber längst nicht mehr zu leugnen.
Eleya, die ihn in dieser Welt vor dem Tod gerettet hatte und zu seiner Gefährtin, mehr noch: zu seiner Geliebten geworden war, war jenes erste Kind, das er seinerzeit in Konstantinopel mit dem Lilien-kelch getauft hatte.
Oder wenigstens doch war sie die Seele jenes Mädchens, die nach dem tödlichen Trunk aus dem kindlichen Körper vertrieben und in tiefste Verdammnis gestürzt worden war.
Und eine Macht, die nichts unversucht ließ, um Landru zu quälen, hatte ihr nun und hier menschliche Gestalt verliehen und sie Land-rus Weg kreuzen lassen.
Und all die anderen, die Eleyas Volk gewesen waren und die sie zu seiner Rettung an ihre Todfeinde verraten hatte - sie waren die wieder fleischgewordenen Seelen all der anderen Kinder, die Land-ru als Hüter aus dem Kelch hatte trinken lassen, um sie zu Nachkommen der Alten Rasse zu machen.
Ob es irgendwo noch andere ihrer Art gab, hatte Eleya ihm nicht sagen können. Ihre Erinnerung war verkümmert, hatte womöglich nie existiert. Was Landru nicht sonderlich bedauerte. Zwar war es unwahrscheinlich, daß sie ihn als jenen erkannt hätte, dem sie ihr Vegetieren in Verdammnis zu verdanken hatte - aber wer wußte schon zu sagen, zu welch perfiden Gemeinheiten die hinter allem stehende und wirkende Macht noch fähig war?
Landru versuchte, möglichst selten daran zu denken, mit wem er es in Eleya tatsächlich zu tun hatte. Statt dessen trachtete er nach nichts anderem, als sich an ihrer Gesellschaft festzuhalten, aufzurichten. Denn schließlich schien sie neben ihm das einzige Geschöpf zu sein in dieser Welt, von der Landru noch immer nicht wirklich wußte, was und wo sie war.
Das hieß - ganz allein waren sie nicht. Denn es gab noch immer jene vampirischen Ungeheuer. Und weitere Gefahren, die
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