Die Verdammten der Taiga
es verdient, Andrej! Er war unser Freund! Einer muß jetzt bei ihm sein.«
»Du kannst doch nicht mehr helfen, Katja!« schrie Andreas zurück. »Katja! Sei doch vernünftig!«
Sie antwortete nicht mehr, drehte sich wieder auf den Bauch und schwamm weiter. Unterhalb der verbrannten, noch glühenden Goldwaschmaschine kam sie an Land, watete durch das seichte Wasser bis zu Putkin und fiel neben ihm in die Knie. Sie hatte schon viele Tote gesehen in den Kliniken, zerfetzte Menschen, durch Unglücke und Explosionen verstümmelte Leiber … doch dies hier war der grausigste Anblick, den sie je ertragen mußte. Sie faßte Putkins zuckende rechte Hand, einen der wenigen Körperteile bei ihm, die man noch anfassen konnte, hielt sie fest und beugte sich über seinen zerstörten, einstmals so grandios urweltlichen Kopf. Die ausgebrannten Augenhöhlen glotzten sie an.
»Igor Fillipowitsch –«, sagte sie tonlos. Es war nicht mehr ihre Stimme, es war irgendein fremder Ton, der Worte wegtrug. »Igorenka … was kann ich noch für dich tun?«
Und das Unbegreifliche geschah: Diese verbrannte Masse im schwabbenden Wasser riß den Mund auf und antwortete ächzend: »Tu ein gutes Werk, Täubchen … nimm einen großen Stein und erschlag mich –«
»Ich werde es tun, Igorenka –«, sagte die Susskaja leise. »Bei Gott, ich werde es tun.«
Sie wußte nicht, ob Putkin es noch hörte … er lag ganz still, seine riesige Hand wurde schwer in Katjas Fingern, und sie rührte sich nicht, aber mit den Augen suchte sie wirklich nach einem Stein, der groß genug war, um Putkins Kopf mit einem Schlag zu zertrümmern. Hätte sie noch das Gewehr oder die Pistole gehabt … sie hätte Putkin sofort von seiner unerträglichen Qual befreit.
Die Gluthitze prallte jetzt wieder gegen sie. Ihre nasse Haut trocknete schnell, und sie spürte, wie sie zu verdorren begann. Der Brand fraß sich überall weiter, er mußte schon eine Fläche von vielen Werst erreicht haben und kam vielleicht erst zum Stehen, wenn er an einen anderen Fluß gelangte. Das konnten Hunderte von Werst sein … die Taiga brannte ungehemmt wie ein weit verstreutes Feld voller Stroh …
Katja Alexandrowna wußte nicht, wie lange sie neben Putkin kniete, seine Hand hielt und hinüber zu der Steininsel starrte, auf der Andreas stand, das Deckenbündel mit Amalja auf dem hohen Stein festhaltend, umschäumt von dem Gischt des sich brechenden Wassers. Erst als die Susskaja sah, daß Putkins Mund weit geöffnet war und eine Flußwelle in sich hineinspülte, ohne daß er zu schlucken, zu husten oder zu würgen begann, erkannte sie, daß er gestorben war. Sie ließ seine Hand fallen, stand auf, schob den schweren verbrannten Körper in den Fluß, bis ihn die schnelle Strömung erfaßte und aus ihren Händen riß … »Geh hinein in deine Taiga!« schrie sie Putkin nach, als er abtrieb. »Geh in deine geliebte Taiga …«
Dann schwamm sie zur Insel zurück und drückte ihr Gesicht an Andreas' Rücken. Ihr Schluchzen übertönte selbst das Gurgeln und Schäumen des Wassers.
»War er schon tot?« fragte Andreas später. Sie standen wieder nebeneinander und hielten Amalja gemeinsam auf dem hohen Stein fest.
Die Susskaja blickte mit starren Augen zu dem brennenden Wald. »Laß uns nicht mehr von ihm sprechen, Andrej –«, sagte sie nach einer ganzen Zeit. »Er war ein Scheusal … aber daß euer Gott ihn so sterben ließ, war eine billige Rache!«
Am Abend kam ein Wind auf, ein scheußlicher Wind nach Wochen fast völliger Windstille. Er trieb mit einem höllischen Singen Wolken von Funken über den Fluß, weckte die verglühenden Stämme zu neuem Flammenleben und trug den Brand tiefer ins Land.
Als es Nacht geworden war, brannte auch die andere Uferseite.
Der Feuerkreis war vollkommen. Es gab nur noch einen Ort, wo man überleben konnte: der Fluß.
Aber kann man stundenlang oder tagelang in einem Fluß stehen?
XXXV.
Sie standen drei Tage und zwei Nächte im strömenden Wasser und begriffen selbst nicht, wie das möglich war.
Sie standen bis zu den Schultern im Wasser, immer wieder von höheren Wellen überspült, und hielten abwechselnd das Kind auf dem flachen, glatten Stein fest. Ihre Beine, ihre Körper schwollen an, schwemmten auf, wurden gefühllos … wenn sie ihr Fleisch anfaßten, fühlte es sich wie Brei an, der leimig an den Knochen klebte. Aber sie standen und hielten das Kind über den Fluß … und nur das Kind gab ihnen die Kraft, ihren vom Wasser durchweichten,
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