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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine Wildgans, den Fluß hinaufschwebend mit peitschenden Flügelschlägen.
    Die Welt ist neu erschaffen worden.
    Sie lagen ein paar Minuten schwer atmend in der noch warmen Asche, hörten auf das leise Prasseln und Knacken noch kleinerer Brände und ausglühender junger Bäume und tasteten dann zur Seite, suchten ihre Hände, hielten einander fest und sahen sich mit einem matten Lächeln an.
    »Wir müssen etwas essen«, sagte die Susskaja schwach. Sie zog Amalja zu sich heran. Das Kind schlief, vom Schreien total erschöpft. »Andrej, wir müssen etwas essen. Wo haben wir hier zu essen?«
    »Im Flugzeug. Ein paar Konserven.« Sie hoben die Köpfe und starrten hinüber zu der zwischen den Inselfelsen schaukelnden Maschine. Sie schien ihnen jetzt so weit, so unendlich fern. Der Fluß vor ihnen wurde riesig, dehnte sich von Ufer zu Ufer wie die gewaltige Lena. Unmöglich, ihn noch einmal zu durchschwimmen. Unmöglich, an das Flugzeug heranzukommen.
    »Ich habe keine Beine mehr –«, sagte Andreas. Sein Kopf fiel in die Asche zurück. »Keine Arme, keinen Rumpf … ich bin nichts mehr –«
    »Wir werden mit einem spitzen langen Ast einen Fisch stechen. Einen großen Fisch, Andrej.« Sie streichelte seine aufgequollene Hand. »Braten werden wir ihn. Ein herrlicher Fisch wird es sein. An einem Stecken braten. Was wir genug haben, ist Feuer …«
    »Ich werde mich nie mehr bewegen können.« Andreas lag in der warmen Asche und blickte Katja mit tief eingesunkenen Augen an. Flacher und elender konnte kein angeschwemmtes Brett sein als er. »In einer Stunde bin ich weg, Katjenka … von der Sonne aufgesaugt wie eine Qualle –«
    Das Reden hatte sie erneut erschöpft. Sie schwiegen, hielten sich noch an der Hand fest, schlossen die Augen, lauschten auf den Flügelschlag der einsamen Wildgans und auf das ruhige, von kleinen Schluchzern unterbrochene Atmen des Kindes.
    »Du mußt hinüber zum Flugzeug, Andrej –«, sagte die Susskaja nach langer, langer Zeit. »Du mußt!«
    »Ich weiß, Katjuschka. Vier Büchsen mit Bohnen, eine Büchse Gulasch und zwei Büchsen mit Sauerkraut.«
    »Das sind vierzehn Tage Leben, Andrej. In vierzehn Tagen sind wir wieder Menschen –«
    »In vierzehn Tagen liegen wir in einem sauberen weißen Bett in einem Krankenhaus, und Amalja bekommt Möhrensaft und Griesmilch und Vitamine …«
    »Du fantasierst, Andrej …«
    »Wir werden Hühnerfrikassee essen und gebratene Leber und herrlichen Rosolnik.«
    »Und ein Radio wird neben uns Tschaikowsky spielen …«
    »Vielleicht. Vielleicht auch Beethoven oder Schubert. Ein Klavierkonzert von Chopin …«
    »Du bist verrückt, Andrej. Wir liegen in der Asche einer verbrannten Welt …«
    »Nur heute noch.« Andreas hob den Kopf. Er hatte Mühe, sich auf die Seite zu wälzen und Katja Alexandrowna mit seinen aufgequollenen Lippen zu küssen. Sie umfaßte seinen Nacken und zog seinen Kopf auf ihre Brüste. »Nur noch heute, Katjuschka. Morgen versuche ich, zu fliegen –«
    So blieben sie liegen, Andreas' Kopf zwischen Katjas Brüsten, bis sich Amalja mit piepsenden Lauten meldete. Und welch ein neues Wunder: Da hatten sie wieder die Kraft, sich aufzusetzen, wickelten das Kind aus der Decke und waren selig vor Glück über den kleinen, nackten, strampelnden Körper.
    Noch vor Einbruch der Dunkelheit ging Andreas hinunter zum Fluß und schwamm hinüber zum Flugzeug. Als er sich in das Wasser warf, wußte er nicht, ob er es jemals erreichen würde. Und er blickte sich auch nicht mehr um, weil er ahnte, daß er dann nie in den Fluß springen würde. So warf er sich mit einer geradezu wütenden Verzweiflung in die Strömung, und die plötzliche Kälte des Wassers tötete seinen schrecklichen Gedanken: Das ist der endgültige Abschied! Ich werde Katja und Amalja nicht wiedersehen …
    Später hockte er triefnaß in dem Kunstledersitz des Cockpits, die Sonne brannte mit letzter Kraft rotgold und schräg genau durch die Fenster, ehe sie in dem schwarzen Gewirr der Baumgerippe versank und die verbrannte Taiga in ein so rätselhaftes Rot tauchte, als ströme Blut aus den verkohlten Stämmen.
    Uhren … Zeiger … Meßinstrumente … Hebel … Knöpfe … Schalter … ein ovales, oben offenes Steuerrad … Pedale … vor dem Fenster der Motor und der geschwungene Propeller … darüber, jetzt knochentrocken, das zerfetzte Hemd … Andreas' Kopf begann zu summen und zu brummen, vor seinen Augen hob und senkte sich der Fluß, als rausche er über große Buckel, und

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