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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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heraus, Andrej. Ob es Katja paßt oder nicht, und ärztliches Ethos hin und her … morgen früh hänge ich Tichon Antonowitsch so lange an einen Baum, bis er wie ein Vögelchen zwitschert. Diese Hütte ist unsere Rettung, Andrej. Dort überwintern wir. Ha, was ist eine Hütte wert in der Taiga! Eine warme Hütte, mit einem gemauerten Ofen drin, auf den man sich legen kann und sich wohlig ausstreckt, wenn draußen der Eiswind heult und der Schnee an den Blockwänden sich auftürmt. Wir brauchen diese Hütte, Andrej. Verdammt, ich bin bereit, Tichon für diese Hütte umzubringen! Wir sind sechs, er ist allein. Sagt er's nicht selbst? Was ist ein einzelner Mensch wert …«
    »Wir werden ihn friedlich überzeugen, Igor Fillipowitsch«, sagte Andrej leise. Er wollte Katja nicht wecken. Sie lag warm und nackt, mit all ihrer üppigen festen Schönheit, in seinen Armen und schlief so selig wie ein sattes Kind. »Sie wissen doch, ich hasse Gewalt.«
    »Sie kennen Sibirien nicht, Sie humanitärer Esel.« Putkin wälzte sich in seinem Rentierfell zurück. »Dieses Land muß man erobern, nicht erbetteln –«
    Am Morgen erlebten sie, wozu ein Mensch fähig ist, der sich von der menschlichen Gesellschaft losgesagt hat.
    Tichon Antonowitsch Priwalzew war verschwunden. Trotz seiner Beinwunde hatte er sich in der Nacht – es muß gegen Morgen gewesen sein, als Putkin endlich einschlief – davongeschlichen. Und er hatte einige Konserven, das Beil und vier gute Stricke mitgenommen, dazu eine Decke und Morotzkijs Hose. Ausgerechnet von Morotzkij, der jetzt verwirrt neben Nadeshna unter der gemeinsamen Decke saß und unten bloß war.
    Putkin sprang gräßlich fluchend auf und gebrauchte Worte, die selbst die Susskaja zum Staunen brachte. »Wer hatte wieder recht?« brüllte Putkin. »Wer? Na? Aber nein, nein … da ist eine Ärztin, die schläft auf dem Eid des Hippokrates und vergißt, daß wir es hier mit Mördern zu tun haben, und da liegt ein deutscher Idealist herum und träumt zwischen zwei Brüsten vom Paradies, während um ihn herum die Hölle los ist! Und ihr da« – er starrte Nadeshna und Morotzkij an –, »kein Wort über euch! Jeder Furz wäre zu schade! Wie stehen wir nun da? Allein, beklaut, ohne eine Hütte, ohne Orientierung, ohne Hoffnung … und alles hatten wir hier am Feuer sitzen. Unser Leben hieß Priwalzew! Jetzt heißt Priwalzew unser Tod!«
    So ging es eine Viertelstunde lang weiter, und man ließ ihn toben, denn im Grunde hatte er wirklich recht. Man hatte sich dämlich benommen, jeder sah das ein, und jeder fühlte sich irgendwie schuldig.
    Andreas, der aus den Decken gekrochen war und die Umgebung abgesucht hatte, kam bedrückt unter die Zeltplanen zurück. Der blöde Benerian war der einzige, der fröhlich war: Er sang Kinderabzählreime und kreischte dazwischen wie ein Papagei.
    »Keine Spuren –«, sagte Andreas. »Es hat in der Nacht wieder geschneit. Draußen liegt eine glatte Decke, wie weißer Lack. Wir werden nie die Richtung herausfinden, in die Priwalzew weggelaufen ist.«
    »Haben Sie anderes erwartet, Andrej?« Putkin raufte sich die verwilderten Haare. »Dämlichkeit muß leiden, das ist das Gute an der Sache. Auf die Beine, ihr Idioten! Wir stellen unsere Traglasten zusammen! Und dann weiter nach Süden!«
    Es blieb Morotzkij keine Wahl – er mußte in Priwalzews zurückgelassene, durchschossene und blutverschmierte Elchlederhose steigen. Das Blut war so fest gefroren, daß Nadeshna das Hosenbein mehrmals wie ein Brett brechen mußte, ehe Morotzkij hineinsteigen konnte. Er sah traurig aus, wie er da wartete, um den nackten Unterkörper die Decke gewickelt, und Nadeshna mit der steifen Hose kämpfte. Nachher war er ganz zufrieden. Die Hose paßte um Bund und Gesäß, nur die Beine waren etwas zu kurz, vor allem aber war sie haltbarer als seine alte Stoffhose.
    »Eine typische Handlung –«, sagte Morotzkij. »Man kann es psychologisch erklären. Drei Jahre in Elchleder, und da sieht man plötzlich eine richtige Hose! Ein Gruß aus der verschwundenen Welt, ein Teil der entflohenen Vergangenheit, jetzt fast ein Heiligtum, eine Reliquie, die man heimholt zum Altar der Erinnerung –«
    »Hören Sie auf mit Ihrem Blödsinn von Verhaltensforschung!« schrie Putkin ihn an. »Nach einer Stunde werden Sie merken, wie Ihnen das Leder den Hintern wund reibt. Dann werden Sie Ihrer Hosenreliquie nachweinen. Los, an den Karren! Jeder von uns kann dreißig Pfund schleppen. Auch Sie, Nadeshna, mit

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