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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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chirurgische Besteck heraus und eine runde Chromdose mit Watte. Ihr folgten eine Streubüchse mit Penicillinpuder und einige kleine Verbandspäckchen. Ohne zu fragen oder zu zögern, ergriff Nadeshna das verletzte Bein und hielt es fest, wenn es, dem Schmerzreflex folgend, herumzucken sollte. Putkin starrte sie entgeistert an.
    »Engelchen, Sie wollen die Kugel doch nicht herausbeten?« fragte er gepreßt.
    »Gehen Sie weg, wenn Sie keine Operation sehen können«, sagte die Susskaja grob. »Ich habe etwas dagegen, wenn man auf meine Patienten spuckt.«
    »Sehe ich so aus?« schrie Putkin.
    »Ja. Ich habe es beim Militär erlebt. Bullen wie Sie fielen mir vor dem Tisch zusammen, wenn sie nur die Typhusspritze sahen.« Sie schraubte eine braune Flasche auf, tauchte einen Wattebausch an einer Pinzette hinein, desinfizierte damit die Wundränder – es war Jod – und reichte die Pinzette an Andreas weiter, der sie weglegte. Dann nahm sie ein Skalpell und schnitt ohne Zögern quer über den Einschuß und erweiterte ihn. Das Fleisch klaffte auseinander, Blut strömte heraus. Putkin schluckte laut, aber er blieb knien und starrte auf die Hände der Susskaja. Die hatte eine lange Pinzette genommen und tauchte jetzt mit ihr in die Tiefe der Wunde, suchte und schien die Kugel gefunden zu haben. Aber die Pinzettenbacken glitten immer wieder von dem Metall ab … das Projektil ließ sich nicht greifen.
    Der Ohnmächtige stöhnte, das Bein zuckte wild. Nadeshna setzte sich auf den Unterschenkel, um es still zu halten, und Andreas und Morotzkij hielten den Oberkörper des Mannes fest.
    »Ich habe sie!« sagte die Susskaja endlich. Sie steckte das Skalpell in die Wunde, als sei es ein Schuhlöffel, an dem nun die Kugel nach oben gleiten sollte. Und siehe da … sie tauchte auf, zwischen der Pinzette, durch den Blutmantel metallisch schimmernd. Katja warf sie auf die Decke, nickte Nadeshna zu, und diese preßte mit beiden Händen die Wunde zusammen, bis die Susskaja die gebogene Nadel aus einem sterilen Behälter genommen und den Faden eingezogen hatte. Mit drei Stichen war die Wunde verschlossen, Penicillinpuder wurde darübergestreut und dann das Bein verbunden.
    »So primitiv habe ich noch nie operiert«, sagte die Susskaja. Sie schwitzte etwas, Andreas trocknete ihr die Schweißperlen vom Gesicht und küßte sie hinterher auf die Augen.
    »Es war fantastisch«, knurrte Putkin. »Einfach fantastisch. Jekaterina Alexandrowna, ich muß Ihnen etwas gestehen: Ich habe bezweifelt, daß Sie Ärztin sind. Da kann jeder kommen, habe ich gedacht, und sagen: Ich bin Arzt. Wer will das Gegenteil beweisen? Aber jetzt weiß ich, daß Sie eine fantastische Ärztin sind.« Er stand auf und schämte sich sichtbar, daß seine rauhe Schale einen Augenblick ganz weich geworden war. »Um so mehr bleibt Ihr Geheimnis, wie Sie in diese mistige Ecke von Sibirien kommen. Sie erzählen es uns noch einmal … wir haben jetzt alle unendlich viel Zeit …«
    Es dauerte nicht lange, bis der Verletzte aufwachte. Er schlug die Augen auf, erkannte sofort die Frauen und die anderen Männer und schien in sich zusammenzukriechen. Dann schielte er an sich hinunter, sah, daß er unten nackt und sein angeschossenes Bein verbunden war, und versuchte ein mattes Lächeln.
    »Ich habe Sie operiert«, sagte die Susskaja. Sie hielt ihm die Kugel vor die Augen. »Das war sie. Das Leben geht weiter.«
    »Danke, Schwesterchen«, sagte der Mann leise.
    Vom Wagen kam Andreas zurück. Er hatte eine von Benerians Weinflaschen geköpft und gab dem Verwundeten davon zu trinken. Putkin wollte protestieren, aber als er die Susskaja ansah, schwieg er. Ihr Blick war die Hölle … man tat gut daran, sie nicht aufzustoßen.
    Am Abend saßen sie alle um das lodernde Feuer, brieten ein Stück Rentierlende und aßen dazu eine Büchse Bohnen, wahrlich ein Festmahl. Um sie herum war das große winterliche Schweigen der Taiga, die weiße Stille, als habe der Schnee jeden Laut erstickt. Noch schwieg der Wind, aber der Himmel war so tief, daß man begriff, was es heißt, der Himmel falle einem auf den Kopf. Es schneite auch nicht mehr, nicht weil die Unendlichkeit über ihnen sich restlos entleert hatte, sondern weil die Kälte heranzog, diese böse, alles zerfressende, alles durchdringende, unaufhaltsame Kälte. Der warme Rauch des Feuers, der sich unter den Zeltplanen sammelte, zog darunter weg ins Freie und verwandelte sich dort zu einer weißen, dichten Dunstwolke, die der Frost

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