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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen harten Winter geben würde. Auf den Dörfern verklebte man die Fenster mit Zeitungspapier, in den Städten erkundigte man sich unter der Hand, ob die Kohleversorgung gesichert sei.
    »Teilen wir die Namen der Opfer mit«, sagte General Serikow, der die Leitung der Suche übernommen hatte und die Armee im Raume Irkutsk befehligte. »Es kann keine Überlebenden geben. Wir hätten sie entdeckt, und sie hätten Zeichen gegeben. Nehmen wir an, sie wären zu verletzt gewesen, um sich bemerkbar zu machen …« Er trat ans Fenster und starrte hinaus in den wirbelnden Schnee. Hier, in Irkutsk, hatte der Wintersturm seine volle Stärke erreicht und rüttelte heulend an den Dächern. »Was ist dann jetzt noch von ihnen übrig?« Seine Stimme wurde leise und fast sanft. »Bei diesem Wetter … Krendelew, geben Sie die Namen heraus als Helden der Eroberung von Sibirien …«
    »Sofort, Genosse General.« Der Adjutant, ein junger Oberleutnant, wartete noch. Serikow drehte sich erstaunt vom Fenster weg.
    »Eine Unklarheit, Krendelew?«
    »Der Deutsche. Auch als Held der Eroberung Sibiriens?«
    »Ja.« Der General nickte mehrmals. »Auch er. Er arbeitete bei uns für Sibirien. An einer Geste ist noch kein Staat gestorben –«
    Krendelew grüßte und verließ das überheizte Zimmer. Serikow drehte sich wieder zum Fenster und drückte die Stirn an die kalte Scheibe. »Katja Alexandrowna –«, dachte er und fühlte, wie sein Herz schmerzte, als säße eine Stahlnadel in ihm. »Katjuschka! Ich werde Sibirien verfluchen, solange ich eine Stimme habe. Haben sich jemals zwei Menschen so lieben können wie wir …?«
    Er starrte in den wirbelnden Schnee und schloß dann die Augen.
    Auch Generäle können weinen …

VI.
    Sie zogen neun Tage durch die Taiga, und es war leichter, als sie es sich vorgestellt hatten.
    Die dreißig Pfund auf dem Rücken, die täglich weniger wurden, weil man ja essen mußte, spürte man nur an den ersten zwei Tagen. Dann hatte sich der Körper an die Last gewöhnt, so merkwürdig es klingt, und wenn man abends das Gepäck abschnallte, kam man sich leer vor und so leicht, daß man die ersten Schritte ganz vorsichtig setzte, weil man glaubte, man könne davonschweben.
    Dafür gab Benerian zur Sorge Anlaß. Sein zerstörtes Gehirn hatte sich nicht verschlechtert, er blieb auf dem Stadium eines Kleinkindes stehen – aber seit drei Tagen hustete er, spuckte ungeniert durch die Gegend und bekam einen roten Kopf. Katja diagnostizierte eine stramme Erkältung, was bei der trockenen Kälte fast ein Wunder war, und sagte ernst:
    »Er wird eine Pneumonie bekommen …«
    »Wozu sind Sie Ärztin, Katja?« knirschte Putkin und rieb Benerian das glühende Gesicht mit Schnee ab.
    »Ich kann ihm eine Lungenentzündung nicht durch den Mund ausblasen. Können Sie Öl bohren ohne Bohrer?«
    »Ein kluges Dämchen.« Putkin befahl eine außerplanmäßige Rast. Sie waren gerade durch eine Senke gezogen, die Morotzkij kritisch betrachtet hatte. Außerdem waren vier Schneegänse über sie hinweggeflattert, ehe Putkin das Gewehr vom Schlitten reißen und schießen konnte.
    »Wir kommen an einen Fluß –«, hatte Morotzkij gesagt. »Irgendwo ist Wasser.«
    Und Putkin hatte zurückgebrüllt: »Noch ein Wort von diesem Gerippe und ich muß festgebunden werden, um ihn nicht zu kastrieren! Wasser! Seit vierzehn Tagen heult er uns von Wasser vor! Hier ist Wald, Wald, Wald!«
    Man ruhte sich eine Stunde aus und sah zu, wie die Susskaja zu einem verzweifelten Mittel griff, um Benerians Pneumonie zu ersticken.
    Sie löste einen Eßlöffel voll Penicillinpuder in Schneewasser auf, bis es einen dünnen Brei gab, und flößte dieses widerliche Zeug Benerian ein. Er schluckte es geduldig, so wie man ein Kind mit Haferschleim füttert.
    »Hilft das?« fragte Putkin nachdenklich.
    »Ich weiß nicht. Ich habe Puder noch nie so appliziert …«
    »Nadeshna, beten!« rief Putkin. »Wenn jemand Wunder gebrauchen kann, sind wir es jetzt!«
    Das letzte Wort war noch nicht verklungen, als alle Köpfe auffuhren. Von weit her, oder von nah, man konnte es nicht sagen, kam ein Klang zu ihnen. Ein fremder, unerklärlicher Klang, von dem man nur wußte, daß er nicht in die Taiga gehörte, nicht in diese einsame, stille Schneewelt, nicht zu diesen scheintoten Baumriesen. Ein Klang, der Erinnerungen wachrief, obwohl man nicht sagen konnte, welche Erinnerungen. Aber sie waren da, lagen plötzlich auf den Herzen und suchten nach einem Namen.
    Nadeshna war

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