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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deutlich, daß hier Menschenhand gewirkt hatte, denn die Stümpfe ragten noch aus dem Schnee, und es gibt keinen Sturm, der Bäume so gleichmäßig und glatt abdreht. Außerdem hingen, an langen Stangen aufgespannt, einige geschabte Rentierfelle zum Trocknen im Wind, und die Holzbank unter einer breitausladenden Fichte war auch nicht von selbst gewachsen.
    Nadeshna war an Putkin vorbeigerannt und aus dem Wald getreten. Sie blieb plötzlich mit einem Ruck stehen, schlug das Kreuz und kniete im Schnee nieder. Dann senkte sie den Kopf auf die gefalteten Hände und schien inbrünstig zu beten.
    Putkin atmete laut und röchelnd. »Sie hat ihr Ventil –«, sagte er rauh. »Was habe ich, um mich zu freuen? Ich möchte jedem in den Hintern treten, das ist so meine Art.«
    Sie folgten alle, nebeneinander gehend, der Spur Nadeshnas und sahen dann auch links am Flußufer, in einer sanften Krümmung, woher der Glockenklang kam.
    Eine winzige Kirche aus rohbehauenen Stämmen stand da, mehr ein Blockhaus mit einem rührend krummen, kleinen Türmchen auf dem Dach und einem ebenso schiefen Doppelkreuz, das gelb bemalt war und Gold vortäuschen sollte.
    Neben der Kirche, angebaut wie ein Stall, erstreckte sich ein niedriges Wohnhaus mit einem Garten drumherum, eingezäunt wie alle russischen Gärten mit einem Knüppelzaun. Die Fensterläden waren ebenfalls bemalt, die Simse mit ungelenken Schnitzereien verziert, das mit gehobelten Brettern gedeckte Dach gegen den wütenden Sturm mit dicken Flußsteinen beschwert. Aus dem gemauerten Kamin zog eine dünne weiße Rauchfahne in den frostigen Himmel. Die mitgerissene Hitze flimmerte in der Luft, ehe sie kurz danach von der Kälte zerstört wurde.
    Die Glocke schepperte noch immer. Sie hing in einem Hohlraum des schiefen Türmchens und war aus einem alten Benzinfaß gebastelt worden. Jemand, den man noch nicht sehen konnte, zog unten in der Kirche an einem dicken Seil, unermüdlich, in einem gleichbleibenden Rhythmus, den man mitzählen konnte … eins – zwei … eins – zwei … bim-bim … bim-bim …
    »Kein Dorf –«, sagte Morotzkij mit belegter Stimme.
    »Aber ein Mensch –«, sagte Andreas.
    Der blöde Benerian richtete sich im Schlitten auf und lachte gellend. »Glöcklein, Glöcklein in der Nacht, Christus ist heut' aufgewacht …«, schrie er danach. Putkin zuckte wieder zusammen und ballte die riesigen Fäuste.
    »Mir das!« sagte er dumpf. »So etwas muß ich erleben! Ich krieche unter bei einem Einsiedler, bei einem religiösen Vollidioten. Ausgerechnet ich muß in der Taiga auf so etwas stoßen. Nadeshna, Schluß mit dem Beten! Ich weiß, Sie glauben an ein Wunder. Vielleicht ist's einer von Ihren Priestern, die Sie nach Rußland geschmuggelt haben. Passen Sie auf … er begrüßt uns mit einer Ihrer heimlichen Bibeln in der Hand.«
    Er trat in den Schnee, als wolle er Fußball spielen, und stapfte dann allen voraus zum Flußufer. Die Schneegänse flatterten auf, die unbekannten Möwenvögel mit den hellroten Schnäbeln verwandelten sich zu einer dichten, kreischenden Wolke, die ruckartig über den Fluß hin und her schwenkte.
    Die Glocke schwieg abrupt. Es war plötzlich so still ohne diesen scheppernden Ton, daß sich alle wie nackt vorkamen und die Kälte auf der Haut spürten.
    Sie rannten zum Fluß hinunter, Benerian auf seinem Schlitten kreischte, weil ihm die schnelle Fahrt Angst einflößte, und Putkin, in seinem umgehängten Rentierfell wie der sibirische Waldgeist Ljeschi aussehend, wirbelte unter seinen Schuhen den Schnee auf, als sei er ein Schneepflug.
    Sie hatten die kleine Blockkirche gerade erreicht, als die Tür aufsprang und ein Wesen heraustrat, das nur auf den zweiten oder dritten Blick als Mensch erkennbar war. Die ganze Gestalt war in einem Pelzanzug verborgen, der aus weißen, braunen, schwarzen und rötlichen Fellstreifen bestand, aus Fuchs-, Wolfs-, Hunde- und Rentierfellen, alles zusammengefügt zu groben Ornamenten, so wie die Tungusen und Jakuten ihre Winterkleidung herstellen. Darüber trug der Mensch eine Docha, einen Überpelz aus langhaarigem Schafsfell, was seiner Gestalt noch mehr an Breite und Höhe verlieh. Die dicken Stiefel waren an den Beinkleidern festgenäht, die Sohlen bestanden aus dem Klauenfell eines Rentiers, was den Vorteil hatte, daß man mit ihnen auch bei Glatteis nicht ausrutschen konnte, denn die wirbelartig nach allen Richtungen gewachsenen Haare waren wie eine Bürste, die sich in das Eis schabt. Auf dem Kopf trug

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