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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es das Ewige Licht … eine Tranlampe mit stinkendem Öl vor einer kleinen Ikone. Es war Öl, das der Einsiedler aus dem Fett gefangener Fische selbst herstellte.
    »Halten Sie es sieben Monate bei einem Popen aus, Igor Fillipowitsch?« fragte sie. Putkin zog das Kinn an.
    »Ich werde ihn einfach übersehen.«
    »Aber er wird sich hören lassen. Jeden Tag viermal das Glöckchen, jeden Tag mehrmals Gebete … und wenn Weihnachten kommt oder die Osternacht … Putkin, ich weiß, Sie kennen das auch. Ihre Mutter hat Sie als Kind mitgenommen. Für jeden gläubigen Russen ist Ostern wie eine eigene Auferstehung.«
    »Vielleicht bringe ich ihn um«, sagte Putkin finster. »Sicherlich bringe ich ihn um, wenn er immer vor mir steht und mich segnen will. Dann ist Ruhe. Nadeshna Iwanowna kann den Popen spielen und die Glöckchen läuten, das ertrage ich noch, wenn ich als Gegenleistung bei ihr meinen Klöppel gebrauchen kann …«
    »Man sollte Sie im Schlaf erschlagen«, sagte Morotzkij mit großer Überzeugung. »Wirklich, das sollte man. Ihnen den mistigen Schädel spalten.«
    Bevor es zu neuen Streitereien kam, flog die Tür auf, und der Pelzberg schob sich ins Zimmer. Er warf seine Docha ab, zog die Mütze vom Schädel und löste die Lederschnüre, mit denen er das durchgehende Fellkleid zusammenhielt. Dann stieg er aus der Haarmasse, und wie aus einer Puppe ein Schmetterling entschlüpft, so schälte sich aus den Pelzen ein Mann in einem grobleinenen, grauen Anzug.
    »Wahrhaftig ein Mensch!« sagte Putkin und stand auf.
    »Gottes Haus ist aller Haus!« sagte der Einsiedler. Er betrachtete den bulligen nackten Putkin und sah dann die anderen der Reihe nach an. Bei Benerian beugte er sich herunter und segnete ihn. Putkin begann, dumpf zu knurren wie ein angeketteter Hund. »Willkommen bei Gott!«
    »Wer sind Sie?« fragte Putkin laut.
    »Ich heiße Kyrill Jegorowitsch Kirsta, mein Sohn …«
    »So kann nur ein Priester heißen, das stimmt!« Putkin schien zu merken, daß seine Nacktheit unangebracht war, griff nach einem Fetzen Stoff und hielt ihn sich vor den Bauch. »Wo ist das nächste Dorf?«
    »Es gibt kein Dorf, mein Sohn.«
    »Die nächsten Menschen.«
    »Hier gibt es keine Menschen.«
    »Ein Jägerlager? Fischer oder Flößer? Jakutische Nomaden …«
    »Es gibt hier nichts außer Gott –«
    »Das ist mir zuwenig.« Putkin blickte hilfesuchend um sich. Kyrill Jegorowitsch ging zu einem selbstgezimmerten Schrank, holte ein Holzbrett mit Wurst und Brot heraus, stellte es auf den Tisch, fischte dann ein Messer aus einer Truhe und hieb es mit der Spitze in die dicke Tischplatte.
    »Esset und trinket, spricht der Herr, und gedenket meiner in eurer Sattheit, der ich für euch litt am Kreuz und mich labte an einem Essigschwamm …«, sagte er und fügte hinzu: »Ich koche euch einen Tee aus getrockneten Multebeeren –«
    Es wurde ein merkwürdiger Tag und ein noch merkwürdigerer stiller Abend. Sie saßen alle um den groben Tisch, aßen die selbstgemachte Wurst aus Rentierfleisch und Gänseleber, tranken den herben Beerentee, kauten das harte, graue Brot aus gequetschtem Wildweizen und waren sich einig, daß der Pope Kirsta in den langen Jahren der selbstgewählten Einsamkeit den realen Verstand eingebüßt hatte und hauptsächlich nur noch das sprechen konnte, was er täglich mehrmals aus der Bibel las.
    Eines war jetzt klar geworden: Der Fluß hatte keinen Namen. Kyrill nannte ihn ›Das Blut der Ewigkeit‹, was Putkin unnötig aufregte. Menschen gab es im Umkreis von einigen hundert Werst nicht, zumindest hatten sich in den letzten 45 Jahren keine anderen Lebewesen als Bären, Füchse, Biber, Marder, Hermeline, Luchse, Elche, Otter und eine Menge Fluggetier hierher verirrt. Kyrill lebte mit ihnen in einer natürlichen Gemeinschaft: Er fütterte und liebte sie, sprach mit ihnen und war ihnen ein Freund … und er tötete sie, aß sie auf und nähte aus ihren Häuten seine Kleidung, wenn es nötig war.
    »45 Jahre allein in dieser Wildnis –«, sagte die Susskaja am Abend, als sie alle auf dicken Wolfs- und Bärenfellen auf dem Boden vor dem Ofen lagen. Nur Putkin machte sich wieder auf der Plattform breit, ungeachtet der von allen kritisch betrachteten Tatsache, daß Kyrill Jegorowitsch auch nach oben kletterte und sich neben den nackten Putkin klemmte. »Ein Wunder, daß er noch wie ein Mensch sprechen kann.«
    »Das Gebet hält ihn fest«, erklärte Nadeshna leise.
    »Aber verrückt ist er doch«, sagte Morotzkij

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