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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Mensch außer einer Mütze aus Bärenfell auch noch eine Kapuze aus Hundepelz, und nur der lange, weiße Bart, der aus dem Berg von Tierhaaren heraushing, zeigte die Richtung, wo dieser Mann sein Kinn haben mochte. Erst als sie nahe vor ihm standen, erkannten sie auch seine Augen … große, gütige, grüngraue Augen unter einem Gestrüpp von dicken Brauen. Aber gerade diese Augen waren es, die sie stumm werden ließen und ihr gemeinsames »Gott grüße dich, Väterchen!« in der Kehle erstickte.
    Die Augen blickten über sie hinweg zum Fluß. Sie sahen das silbern glitzernde Wasser, die Schwärme der Gänse und Vögel, den verschneiten, erstarrten Wald und den milchigen, von einer verhangenen Sonne durchhellten Himmel.
    »Christus lebt!« sagte plötzlich die Stimme. Sie kam aus diesem Pelzberg wie aus einer weiten, tiefen Höhle … dunkel, volltönend, nachhallend. Eine Stimme, die in einen eindrang wie der mächtige Ton einer Orgel.
    »Christus lebt! Hört seine Stimme und lobet den Herrn zur Mittagszeit, denn Er schenkt uns den Tag, und Er schenkt uns die Nacht, und den gedeckten Tisch verdanken wir Seiner Gnade …«
    »Es ist also zwölf Uhr –«, sagte Putkin nüchtern, während Nadeshna wieder die Hände faltete und verzückt den haarigen Riesen anstarrte. »Wo sind wir hier? Wie heißt der Fluß? Wo ist die nächste Siedlung? Zum Teufel, ja, Christus lebt! Aber wir frieren! Sieh uns an, Väterchen Glockenzieher!«
    »Lasset uns beten –«, sagte der Pelzberg. »Brüder in Gott, danket dem gnädigen Herrn –«
    Er hob segnend seine Arme, legte die Hände auf Nadeshnas Haare, die sofort auf die Knie fiel und zu schluchzen begann. Morotzkij kaute verlegen an der Unterlippe, Andreas legte seinen Arm um Katjas Schulter und zog sie an sich.
    Diese Augen, dachte er. Diese fernen Augen. Himmel noch mal, dieser Mensch ist verrückt wie der arme Benerian. Wir haben wirklich nichts gewonnen, gar nichts. Wir sind von der rettenden Zivilisation so weit entfernt wie eh und je.
    Putkin wollte etwas sagen, winkte dann ab und stapfte hinüber zu der flachen Blockhütte. Er stieß die Tür auf, warf sein Rentierfell ab und reckte sich. »Hierher!« brüllte er. »Der Alte hat einen Ofen, der platzt fast vor Wärme. Hierher! Welche Wonne! Wer hat etwas dagegen, daß ich mich ausziehe? Auf den Ofen lege ich mich und heize meine Knochen auf. Wer beten will … bitte, keiner hindert ihn …«
    Er verschwand in der Hütte und warf hinter sich die Bohlentür zu.
    Der Mann in dem Pelzgewirr drehte sich um und ging wieder in die Kirche hinein. Als er die Tür aufstieß, sah man kurz den Altar: selbstgemalte Ikonen, eine ganze Wand voll, die mit glattgestrichenem Staniolpapier beklebt war. Darüber zwei Petroleumlampen, umhüllt mit rotem Papier. Sie hingen an gedrehten Lederschnüren. Vor einer Christusikone auf einem besonderen Altar aus dicken Flußsteinen leuchtete das Ewige Licht in einer Lampade aus geschnitzten Rentierknochen, ebenfalls umwickelt mit rotem Papier. Ein Ölflämmchen, das einen ranzigen Geruch verbreitete.
    »Gehen wir«, sagte die Susskaja leise, nachdem die Kirchentür zugeklappt war. Sie hob Nadeshna aus dem Schnee auf und legte den Arm um ihre zuckende Schulter. »Es gibt keinen Grund, schwach zu werden. Warten wir in dem Haus auf dieses sanfte Ungeheuer.«
    Aus dem Kirchenraum drang Gesang, tief, dröhnend, schön. Die Gänse- und Vogelschwärme hatten sich wieder auf dem Fluß niedergelassen und tauchten nach den Fischen. Am anderen Ufer bewegte sich ein fast runder brauner Klotz, wälzte sich ins Wasser und patschte darin herum. Ein Bär.
    »Das Paradies –«, sagte Andreas leise. »Das Paradies in Sibirien …«
    »Ein Paradies bis heute, Andrej.« Die Susskaja schob Nadeshna vor sich her. »Jetzt sind wir da … eine Handvoll Verdammter …«
    Putkin lag tatsächlich schon auf dem heißen Ofen, oben auf der breiten gemauerten Steinplatte, als sie ins Haus kamen. Er lag nackt und völlig ohne Scham da, winkte mit den Beinen und lachte dröhnend, kratzte dann seine behaarte Brust und wälzte sich wohlig auf der Decke aus weichem geschorenem Rentierfell junger Kälber.
    »Ist das ein Genuß!« rief er und klopfte seine muskelbepackten Schenkel. »Andrej, ich schwöre Ihnen … das ist besser, als auf eine Frau zu kriechen. Jetzt erst merke ich, daß ich bis zu den Knochen durchgefroren war. In mir knackt es wie im Frühjahr das Eis, wenn es auseinanderspringt beim ersten warmen Wind. Nadeshna,

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