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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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heiser. »Nichts gegen heilige Männer … darin war Rußland immer führend. Aber was Kyrill hier vollbringt, ist eine glatte Wahnsinnstat. Wem nützt er damit? Gott in die Einsamkeit tragen, ist keine Kunst. Ihn unter tausend müden, zerschundenen Arbeitern predigen, das ist eine Aufgabe. Flucht in die Anonymität ist immer billig. Ich kann es beurteilen, ich flüchte ja selbst –«
    »So wie ich die Lage sehe, ziehen wir in einer Woche weiter.« Andreas lag auf dem Rücken. Katjas zärtliche Hände streichelten über seinen Leib, aber es war kein aufreizendes, prickelndes Gefühl, das sie erzeugten, sondern eine wohlige Süße, die schwer war wie goldener Krimwein. Er spürte die völlige Einheit mit Katja und begriff, was es heißt, ausgefüllt mit Glück zu sein.
    »Putkin und Kyrill zusammen auf dem Ofen … das kann nicht gutgehen.«
    Es ging auch nicht gut.
    In der Nacht weckte sie alle ein dumpfer Aufschrei. Putkin sprang von der Ofenplattform und legte sich zwischen die Susskaja und Morotzkij. Im Zimmer war es von den hitzespeichernden Flußsteinen so warm, daß sie alle ohne Decken auf den Fellen lagen. Draußen rumorte der Eissturm, knarrte in den Dachbrettern, schlug gegen die Fensterläden und trieb den Schnee gegen die Bohlentür. Der Fluß fror weiter zu. Es war ein verzweifelter, aussichtsloser Kampf des Wassers gegen eine Erstarrung.
    »Es geht schon los!« knurrte Putkin. »Ich liege da friedlich auf dem Ofen und will schlafen, und was geschieht? Schiebt sich der Pope an mich und flüstert mir ins Ohr, wie man einer Jungfrau unanständige Anträge macht. Und was sagt er, der Kyrill Jegorowitsch? ›Mein Sohn, ich erkenne dich im Dunkeln: Du hast verlernt zu beten. Komm, laß uns zusammen den Herrn loben.‹ Und was antworte ich, na? ›Halt die Fresse, Väterchen! Ich habe zwei Fäuste, wozu brauche ich Gott?‹ Und Kyrill, nicht faul, fragt: ›Wer hat dir die Fäuste gegeben?‹ Darauf ich: ›Ich bin so geboren. Frag meine Mutter!‹ Und was antwortet er, der Kretin? ›Alles Leben kommt von Gott, also auch deine Fäuste. Bete, mein Söhnchen.‹ – Was soll man gegen eine solche Argumentation machen? Gestattet, daß ich bei euch schlafe.«
    Es war eine kurze Nacht.
    Irgendwann, aber bestimmt noch vor dem Morgengrauen, sprang Kyrill Jegorowitsch von seinem Ofen und begann laut und schön mit seinem dröhnenden Baß zu singen. Er zog sich an und wandelte hinaus in die windheulende Nacht, um sich zu seiner Kirche durchzukämpfen und die Glocke zu läuten. »Kasteiet euch, um die Seligkeit des Himmels zu begreifen!« sang er dazu. »Nur der erwirbt das Glück, der leiden kann –«
    »Ich erschlage ihn!« sagte Putkin feierlich, als alle verstört auf der Erde saßen und nicht mehr einschlafen konnten. »Freunde, das ist ein Versprechen. Gut, ich will das Glöckchen ertragen, die Kirche, die Gebete, die Gesänge, das Ewige Licht, alles, alles … aber in der Nacht muß man mir meinen Schlaf lassen. Ohne Schlaf wird selbst ein Engel zum Satan. Wenn Kyrill zurückkommt, zertrümmere ich ihm die Hirnschale. Hindert mich bloß nicht daran …«
    Putkin tat es nicht … wie zu erwarten war. Er brüllte den Uralten nur an, nannte ihn einen Idioten im Quadrat, einen durchlöcherten Eisentopf, einen entmannten Esel und handelte sich damit nur einen feierlichen Segen ein. Darüber mußte Andreas so lachen, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen, und die Stimmung war an diesem Morgen besser als am Abend vorher.
    An diesem Tag gingen Kyrill und Putkin fischen. Der Fluß ohne Namen war bis auf einen schmalen Streifen zugefroren. Das Eis war schon so dick, daß es einen Mann tragen konnte, und wo es zu dünn war, an den Rändern zur Wasserrinne, schoben Kyrill und Putkin Bretter über das Eis, legten sich darauf und starrten in das klare Wasser.
    Sie sahen die großen Fische, fleischige Burschen, mit grünschillernden Schuppen und dicken Köpfen. Sie glotzten die Menschen an, und als Kyrill mit einer Art Dreizack zustach und einen von ihnen herausholte, kümmerten sie sich gar nicht darum, sondern schwammen unbekümmert hin und her.
    »Hier ist alles idiotisch, sogar die Fische«, sagte Putkin später. »Aber Kyrill ist ein blitzschneller Knabe. Liegt da wie Neptun und flupp – hat er einen Fisch in den Zinken. Ein Jammer, daß er Priester ist. Man könnte einen brauchbaren Menschen aus ihm machen.«
    Sie blieben acht Tage bei Kyrill Jegorowitsch Kirsta, dem in 45 Jahren Einsamkeit wunderlich

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