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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wegradiert.
    »Unser Väterchen …«, sagte Andreas entsetzt. Er war wie gelähmt. Anders Putkin. Er ließ den Hobel fallen, stieß sich ab, wie ein Schnelläufer aus einem Startloch schießt, und rannte zum Ufer, daß der Schnee hoch hinter ihm aufwirbelte.
    »Bleiben Sie zurück, Putkin!« schrie Andreas ihm nach. »Sie können doch nicht ohne Brett an den Eisrand! Bei Ihrem Gewicht! Warten Sie doch! Ich bringe ein Brett –«
    Aber Putkin rannte weiter, sprang vom Ufer auf das Eis und schlitterte über die glatte Fläche auf die schmale Rinne zu, durch die der Fluß, vom Frost noch nicht besiegt, gurgelnd und strudelnd dahinschoß.
    Es hat sich nichts daran geändert: Eines Mannes Wert mißt man an seinem Mut. Das ist eine fatale Sache, denn der reine Intellektuelle kommt dabei schlecht weg, aber – sehen wir die Sache einmal ganz klar – was nutzt es, wenn man tausend Seiten voll wohlklingender Worte über das Ertrinken schreiben kann, aber selbst nicht den Mut hat, sich ins gurgelnde Eiswasser zu stürzen und den armen, ersaufenden Menschen zu retten?
    Putkin war solch ein Mann … er riß sich beim Schlittern über den zugefrorenen Teil des Flusses bereits die Kleider vom Leib, atmete tief ein, als könne er damit auch Wärme in sich hineinblasen, streckte die Arme vor und sprang in das rauschende Wasser. Die Kälte war so mächtig, daß sie schon wie Hitze wirkte, das Herz begann zu zucken, und in den Kopfadern hämmerte das Blut. Aber Putkin überwand diesen Schock sehr schnell, tauchte unter die Eisdecke und sah den massigen Pelzklumpen Kyrill träge unter dem Eis davontreiben.
    Später weiß man nie, wie alles sich aneinanderreihte, es gibt da ein Loch im Gedächtnis bei Taten, in denen natürliche Reflexe eine große Rolle spielen und der Verstand zum Statisten wird. Jedenfalls tauchte Putkin recht schnell wieder auf, zog den Popen hinter sich her wie einen riesigen Fellsack, schob ihn auf die Eisdecke und kletterte hinterher, starrte den mit zwei Brettern heranrutschenden Andreas aus roten weltfernen Augen an und rannte dann zum Haus zurück. Von dort kamen ihm Morotzkij und die Susskaja entgegen. Sie stolperten durch den tiefen Schnee, und im Vorbeirennen schrie ihm Katja Alexandrowna zu: »Reib dich mit Schnee ab! Nicht auf den Ofen, Igor! Bloß nicht auf den Ofen!« Dann rutschten auch sie über die Eisdecke des Flusses und halfen Andreas, den mit Wasser vollgesogenen und in diesem Frost schnell erstarrenden Kyrill an Land zu ziehen.
    Als sie wieder ins Haus kamen, den Popen hinter sich herschleppend, rieb Nadeshna gerade den laut mit den Zähnen klappernden Putkin ab, frottierte ihn mit rauhen Decken, bis seine Haut rot glänzte und man glaubte, das Blut quelle nun durch die Poren.
    »Schnell, die Pelze weg!« rief die Susskaja. Sie warfen den besinnungslosen Kyrill auf die Dielen, rissen ihm die nasse Fellkleidung vom Körper, und Morotzkij brachte zwei Eimer voll Schnee und kippte sie über den erstarrenden Popen aus. Dann begannen sie alle an ihm zu reiben, bis ihnen der Schweiß in Strömen über Gesicht und Körper floß, aber es war nicht vergebens. Kyrill zeigte neues Leben, seine Haut rötete sich ebenfalls, die eisige Kälte floh aus seinem Fleisch.
    »Einen Kerl wie Kyrill weckt man anders!« sagte Putkin, als Kirsta trotz aller Mühe noch in seiner Ohnmacht blieb. »Weg da!« Er beugte sich herunter, hielt mit einer Hand die Decke fest, die Nadeshna über ihn geworfen hatte, und begann langsam, fast genußvoll, aber nicht mit voller Kraft, den Popen zu ohrfeigen.
    Nach genau zehn Schlägen öffnete Kyrill die Augen, starrte Putkin an und sagte mit einer provozierend klaren Stimme: »Geheiligt sei der Herr und Lob und Dank Seiner Güte …«
    »Es ist zum Kotzen!« brüllte Putkin, verabreichte Kyrill noch eine Ohrfeige, dieses Mal mit voller Kraft, und zog sich grollend zurück. »Warum habe ich ihn nicht ersaufen lassen?«
    Später lagen sie beide oben auf dem Ofen, zwei nackte haarige Riesen, und erholten sich von dem Kampf ums Leben. Nadeshna hatte ihnen einen Tee gekocht aus getrockneten Blättern der Minze und einen Holunderbeerwein, den Kyrill jedes Jahr selbst kelterte. Es war eine greuliche Mischung, sie schmeckte vor allem Putkin wie zum Erbrechen, aber es war ein Tee, der jeden Ansatz einer Erkältung oder Lungenentzündung aus ihnen hinaustrieb.
    »Ihr müßt schwitzen, als wäret ihr eine Quelle«, sagte die Susskaja, als Putkin sich weigerte, noch zwei Tassen des Gesöffs zu

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