Die Verdammten der Taiga
Kopf gesetzt: Den kriege ich! Komme, was wolle … ich erobere ihn mir!«
»Genau so war es. Ich konnte nicht anders denken.«
»Aber Andrej hätte in zwei Monaten wieder nach Deutschland gemußt. Seine Beratertätigkeit endete am 1. Dezember. Was dann? Wollten Sie Rußland mit ihm verlassen?«
»Ja, Putkin.«
»Ihr Vaterland tauschen Sie ein gegen einen Mann? Katja Alexandrowna, ich bin entsetzt!«
»Warum?« Die Susskaja zog das Magazin aus dem Gewehr und füllte es mit neuen Patronen auf. »Alle Menschen sind gleich … hat man uns das nicht gelehrt, Igor? Die Menschheit ist die einzige Internationale, heißt es nicht so? Wir alle sind Brüder und Schwestern … singen wir das nicht immerzu? Nur die Liebe soll national sein? Welche schiefe Logik! Wenn ich Andrej liebe, praktiziere ich einen lebendigen Kommunismus. Das müßten gerade Sie verstehen, Igor Fillipowitsch. Aber die meisten denken wie Sie und wollen nicht verstehen. Deshalb breche ich aus. Das ist mein ganzes Geheimnis, was Ihnen so zu schaffen macht.«
»Ich werde mit Andrej darüber reden«, sagte Putkin ernst. Die Susskaja klemmte das Gewehr unter die Achsel, und sie hielt es dabei so, daß der Lauf in Putkins Magen drückte. Er machte sich steif, seine Augen bekamen einen hohlen Ausdruck, aber er rührte sich nicht vom Fleck.
»In der Taiga wird es ein Problem, einen Bauchschuß zu versorgen«, sagte sie ruhig, und diese Ruhe war für Putkin noch drohender und fürchterlicher als der Druck des Gewehrlaufes in seinem Magen. »Auch für mich, Igor Fillipowitsch, obgleich ich gern Bauchchirurgie betrieben habe …«
»Sie würden niemals auf mich schießen, Katja –«, sagte Putkin heiser.
»Jederzeit, wenn Sie Andrej anrühren oder sich zwischen uns schieben.«
»Und wenn wir aus der Taiga herauskommen. Glauben Sie, ich würde dann schweigen?«
»Ja.«
»Sind Sie sich so sicher, schöne Dame?«
»Wir haben einen ganzen Winter Zeit, uns aneinander abzuschleifen«, sagte die Susskaja. »Wenn wir aus diesem Wald herauskommen, werden wir uns ähnlich sein wie Kieselsteine.«
Sie zog den Gewehrlauf aus Putkins Magen zurück, warf die Waffe über die Schulter, packte das Seil, an dem der Wolf und der Schneehase hingen, und ging mit kräftigen Schritten davon, die Beute hinter sich her durch den tiefen Schnee ziehend.
Putkin sah ihr nach, schlug die Fäuste zusammen und sagte mit geradezu heiliger Feierlichkeit:
»Beim Satan, ist das ein Weib!«
Auch dieser Tag ging nicht ohne ein folgenschweres Ereignis zu Ende.
Es war Morotzkij, der dafür sorgte. Er ging hinaus, um sich den Wolf anzusehen, den die Susskaja geschossen und in den Holzschuppen gelegt hatte.
»Vielleicht reicht der Pelz für den Rücken einer Jacke«, sagte er. »Der Winter wird besonders kalt werden, das sage ich immer wieder.«
»Es ist ein kleiner Wolf.« Die Susskaja schlürfte den abendlichen Tee. Kyrill war wieder in der Kirche und verrichtete seinen Abendgottesdienst. Nadeshna half ihm beim Weihrauchschwenken (es waren getrocknete Schellbeerenblätter, die man abbrannte) und hielt eine der großen, selbstgezogenen Bienenwachskerzen. Putkin und Andreas rieben Wachs in die Laufflächen der neuen Skier und nagelten Lederschnüre auf die Oberseite, mit denen man die Skier später an die Stiefel binden wollte.
Sie schraken zusammen, als Morotzkij schon nach wenigen Sekunden wieder ins Zimmer stürzte und sich mit dem für ihn typischen pfeifenden Atem an die Wand lehnte.
»Man soll es nicht für möglich halten«, keuchte Morotzkij. »Ihnen, Katja Alexandrowna, mache ich keinen Vorwurf, Sie kümmern sich als Ärztin vornehmlich um den Menschen. Aber er da, dieser Muskelprotz, dieser hohlköpfige Taigaläufer, hätte es sehen müssen! Ja, Putkin, Sie meine ich! Sie leerer Eisentopf!«
»Sind Sie verrückt geworden, Semjon Pawlowitsch?« fragte Putkin verblüfft.
»Bei so viel Dummheit, wen wundert's?« Morotzkijs Arm zeigte zum Fenster. Dahinter lag der Holzschuppen. »Ein Wolf, ja? Ein Wölfchen? Nein, was da liegt, was Sie erschossen haben, Katja, ist ein Hund! Ein verwilderter Hund! Ein ganz normaler, streunender, wildernder Hund. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Menschen –«, sagte die Susskaja leise. »Himmel noch mal – Menschen! Kyrill hat keinen Hund. Hier gibt es Menschen, die Hunde haben und denen einer davongelaufen ist …«
»Jetzt hält mich nichts mehr!« schrie Putkin. »Vielleicht sind wir näher am Ziel, als wir denken!« Draußen begann
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