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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Händen seinen Kopf umklammert.
    »Keiner hat überlebt …«, sagte Krendelew leise. Serikow fuhr hoch, als habe man ihn gestochen.
    »Woher wissen Sie das?« schrie er. Die Qual in seiner Stimme hörte selbst der sonst so gefühlsarme Krendelew heraus.
    »Wo … wo sind die Leichen, Genosse General?«
    »Wir suchen sie! Wenn sie alle umgekommen wären, lägen die Körper herum. Was sehen Sie mich an wie ein durstiges Kamel, Krendelew? Jawohl, ich weiß, was Sie denken. Wölfe, Luchse, Leoparden … aber ich glaube es nicht. Ich will es nicht glauben! Lassen Sie jedes Trümmerstück freilegen. Jedes!«
    Krendelew kroch aus dem zerborstenen Rumpf und kämpfte sich durch den Schneesturm zu den Hubschraubern zurück. Es war Wahnsinn, jetzt mit der Arbeit anzufangen, aber wenn ein General befiehlt, soll man nicht denken. Und Serikow war seltsamerweise in einem Zustand, wo Denken eine absolute Gefahr bedeutete.
    Während sich draußen zehn Soldaten fluchend über die Trümmer verteilten, kroch Serikow durch den Rumpf des Flugzeuges und suchte. Er fand eine Umhängetasche aus braunem Saffianleder, eine ihm bekannte Tasche, denn er hatte sie selbst in Alma Ata gekauft und Jekaterina Alexandrowna geschenkt. Sie enthielt nicht viel. Einen französischen Lippenstift, ein Parfümflacon, einen Handspiegel und den letzten Brief, den Serikow nach Suchana geschrieben hatte. Der letzte Satz – Ich liebe dich, Katjuschka – war rot unterstrichen, rot mit dem glänzenden Fett des Lippenstiftes. Und mit Lippenstift hatte die Susskaja daneben geschrieben: Dreh die Zeit nicht zurück, Waska …
    Serikow starrte auf die wenigen Worte, ehe er begriff, daß dies hier ein Abschied war, von dem er nichts geahnt hatte. Sechs Worte, wie mit Blut geschrieben. Das Ende einer Liebe, von der er geglaubt hatte, er könne sie mit ins Grab nehmen.
    Jekaterina Alexandrowna war von Suchana nach Irkutsk geflogen, um ihm das zu sagen. Sie war nie angekommen, würde auch nie ankommen, und so blieb die volle Erinnerung zurück an eine Liebe, die so grenzenlos gewesen war wie die Taiga, die sie nun begrub.
    Serikow steckte den Brief in seine Brusttasche, hängte sich Katjas Tasche über die Schulter und kroch aus den Trümmern. Draußen wühlten die Soldaten in den Schneehaufen und suchten die Leichen. Oberleutnant Krendelew rannte seinem General entgegen und meldete etwas Merkwürdiges: Die Flugzeugräder fehlten! Sie waren nirgends zu finden. Leichen können in Raubtiermägen verschwinden, aber keine Flugzeugräder!
    »Vieles ist merkwürdig –«, sagte Serikow. Er wirkte wie abwesend, wie hypnotisiert. »Alles ist merkwürdig, Krendelew! Lassen Sie weitersuchen –«
    Er kletterte in seinen Hubschrauber, schloß die Kanzel, legte den Kopf auf die Nackenstütze und schloß die Augen.
    Katjuschka, warum dieser Abschied? Warum so plötzlich, so spontan, mit Lippenstift auf den Rand meines Briefes gemalt? Was war in Suchana geschehen? In Suchana, diesem elenden Drecknest am Olenek, nördlich des Polarkreises? Wie kann eine so große Liebe ausgerechnet in Suchana sterben? Wer soll das begreifen, Katjenka?
    Ein Sack voll Fragen … es war für Serikow undenkbar, daß es in Katjas Leben einen anderen Mann geben könnte als ihn, den General Waska Janisowitsch Serikow.
    Krendelew brach die Suche aus eigenem Ermessen ab, als der Schneesturm so heftig wurde, daß die Soldaten Mühe hatten, sich selbst auszugraben. Den General konnte er nicht fragen … Serikow saß in seinem verschneiten und zugewehten Hubschrauber und wirkte wie eine Mumie. Er blickte nur kurz hoch, als sich Krendelew in die Glaskanzel schwang. Hinter ihm pfiff der Sturm hinein und ohrfeigte den General.
    »Es ist sinnlos!« keuchte Krendelew. »Es gibt keine Überlebenden, keine Spuren, keine Leichen. Es ist sinnlos, Genosse General.«
    »Vieles ist sinnlos. Sie haben recht.« Serikows Blick wanderte zurück zu den wirbelnden, tobenden Schneeflocken. »Wir werden der Sache nachgehen, wenn sich das Wetter normalisiert hat.«
    Sie kamen erst gegen Abend aus dem Windbruch weg. Der Pilot des Generals wartete so lange, bis sich der Sturm etwas beruhigt hatte und das Aufsteigen keine lebensgefährliche Artistik mehr war. Die anderen Hubschrauber folgten ihm. Als sie wieder landeten, in Wiljuisk, war es Nacht. Eine eisige, stille Nacht, in der der Atem gefror, daß man ihn fast in Stücken vom Mund brechen konnte.
    »Funkverbindung mit Suchana!« sagte Serikow, kaum daß er im Warmen saß. »Das

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