Die Verdammten der Taiga
gewordenen Taiga-Mönch. Dann wußten sie, daß wirklich kein anderer Mensch hierher kommen würde, nie und nimmer, selbst jagende Jakuten nicht. »Vielleicht wird auch dieses Gebiet eines Tages von Geologen erforscht«, sagte Morotzkij. »Bestimmt kommt es einmal an die Reihe. Sibirien ist eine Jahrhundertaufgabe. Aber soviel Zeit haben wir nicht. Ich schlage vor, wir ziehen den Fluß hinauf.«
»Und Makar Lukanowitsch?« fragte Nadeshna.
Sie sahen alle auf Benerian, der kindisch mit ein paar Holzscheiten spielte und sie aufeinanderschichtete, um sie dann quiekend wieder umzustoßen.
»Hauptmann der Luftwaffe Benerian –«, sagte Putkin heiser. »Warum spricht denn niemand aus, was wir alle denken?«
»Wir lassen ihn bei Kyrill zurück«, sagte die Susskaja. Ihre klare Stimme, die so etwas aussprach, wirkte in den Ohren der anderen wie das metallische Zuschlagen eines Fallbeils. »Das wollten Sie doch hören, Igor Fillipowitsch? Ja, wir lassen ihn zurück. Bei Kyrill ist er in den besten Händen. Wenn jemand überlebt, wird es Benerian sein. Bei uns ist es ein Glücksspiel.«
»Zwei Idioten allein in der Taiga … Ich behaupte, man hat sich die Eroberung Sibiriens anders vorgestellt.«
»Für sie ist hier das Paradies. Ein Fluß, ein Wald, ein Himmel und ein Gott, der sie ernährt. Was brauchen sie mehr?«
»Warum sollen wir uns da durch den Schnee quälen?« Putkin hieb die Fäuste zusammen. »Das Paradies! Brauchen wir denn mehr? Wollen wir nicht hierbleiben? Alle?«
»Wie alt sind Sie, Putkin?« fragte die Susskaja.
»Zweiunddreißig.«
»So wie Sie aussehen, werden Sie hundert. Das sind noch 68 Jahre Taiga –«
»Wir ziehen weiter!« Putkin raufte sich die Haare. »Katja Alexandrowna, Sie sind ein Biest! Sobald sich der Sturm gelegt hat, gehen wir los.«
»Und bis dahin?« fragte Morotzkij.
»Flechten wir uns Schneeschuhe, Professor. Jakutische Schneeschuhe. Ich werde mich im Schuppen umsehen … dort scheint der Pope eine ganze Werkstatt zu haben. Vielleicht können wir sogar Skier herstellen. Sehen Sie sich die Bretter an …« Er klopfte gegen den Tisch und den Schrank. »Alles gehobelt. Der Alte muß also einen Hobel haben. Woher aber, wenn er seit 45 Jahren keinen Menschen mehr gesehen hat? Na, ist das eine Frage? Hier stinkt etwas aus den Ritzen, Genossen! Oder läßt Gott Hobel regnen? Nadeshna, Sie müssen das wissen …«
»Putkin beginnt zu denken«, sagte Morotzkij. »Und erstaunlich … er denkt richtig. Fragen wir mal Kyrill gezielt nach diesem Wunderhobel.«
»Zwecklos.« Katja Alexandrowna winkte ab. »Er wird in fromme Sprüche ausweichen. Ich kann es nicht erklären, aber ich fühle, daß diese Einsamkeit nicht vollkommen ist.«
»Sie denken, irgendwo in der Nähe ist doch eine Siedlung?«
»Ja.«
»Ich auch.« Putkin rieb sich die breiten Hände. »Jekaterina Alexandrowna, zum erstenmal kommen wir uns näher. Ein Feiertag –«
Sie irrten beide. Die Einsamkeit war vollkommen.
VII.
In diesen Tagen wurden die Hubschrauber der Flugbasis Irkutsk wieder in Alarm versetzt und stiegen wie ein Hornissenschwarm in den grauen Schneehimmel. Sogar General Serikow und sein Adjutant, Oberleutnant Krendelew, flogen hinaus in die schweigende, im Schnee gestorbene Taiga und suchten mit Ferngläsern den grenzenlosen Wald ab.
Ein Pilot der Jagdfliegerstaffel, der sich verflogen hatte, bügelte seinen militärischen Fehler damit aus, daß er meldete: »Ich habe das Wrack eines Flugzeuges gesehen. Es liegt auf einem Windbruch, abseits der Flugstraße von Suchana nach Wiljuisk.«
General Serikow verlor zum erstenmal seine gerühmte Ruhe und Väterlichkeit. Er brüllte herum, gab einen Alarm, als greife der Chinese an, scheuchte die Verwaltungsbeamten aus ihrer winterlichen Ruhe und nannte alle, die ihm in den Weg kamen, blinde Maulwürfe, womit er vor allem die Flieger der Luftaufklärung meinte, die das unauffindbare Verschwinden des Flugzeuges Nummer 14 zu Protokoll gegeben hatten.
Bei pfeifendem Schneesturm landete Serikow auf dem Windbruch, wurde von dem Sturm umgeworfen und kroch auf allen vieren zu den Trümmern. Oberleutnant Krendelew starrte entgeistert seinen General an, ehe er ihm nachsprang, ebenfalls durch eine Windbö in den Schnee geschleudert wurde und dann, von den Flocken gepeitscht, seinem Kommandeur nachrannte.
In dem zerbrochenen Leib des Flugzeuges lag der Schnee nur kniehoch. Serikow saß in einem der schief in den Halterungen hängenden Sitze und hielt mit beiden
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