Die Verdammten der Taiga
fand ihn am Morgen, nur eine Armlänge von Putkin entfernt, in einem ohnmächtigen Schlaf. Das Messer lag noch unter Morotzkijs Kopf.
Nach sieben Wochen stand das Haus.
Es war kein Tag der Freude … man stand um das etwas schiefe Bauwerk herum und wußte, daß dieses Haus, diese stabile, massige Blockhütte mit dem merkwürdigen Dach, das aus Rundstämmen, buckeligen Brettern, dazwischengezogenen Zeltplanen und großen flachen Steinen bestand, die Hälfte ihrer Kräfte gekostet hatte. Ob die andere Hälfte ausreichte, ein Leben in der Taiga zu führen, wußte man nicht.
Putkin hatte sein Versprechen gehalten: Er hatte die einzige, wie ein Heiligtum gehütete Flasche Schnaps von Väterchen Kyrill geöffnet und ließ sie kreisen. Auch Morotzkij stand vor dem Haus … seit einer Woche konnte er auf Krücken stehen, die natürlich Putkin geschnitzt hatte. Noch hielten Schienen seine Beine steif, aber wenn er vorsichtig auftrat, die Krücken etwas lockerte, hatte er das Gefühl, sich selbst wieder tragen zu können. Vor allem aber konnte er jetzt mitarbeiten. Er schwang sich auf seinen Krücken hin und her, flocht Matten aus aufgetauten, biegsam gemachten und angewärmten Zweigen, nahm Fische aus und hatte eine ganz raffinierte Tierfalle konstruiert.
Überhaupt Fische!
Wenn die Flüsse in Sibirien zugefroren sind, heißt das nicht, daß nun die Fische wie in einem Paradies leben. Die Jagd geht weiter, denn so ein dicker Fisch aus einem sibirischen Strom hat alles, was ein Mensch im Winter braucht: Fett und Eiweiß. Und so schlägt man Löcher in die Eisdecke, legt sich daneben, hängt einen Faden mit dem Köder hinein oder wartet still und unbeweglich wie eine Katze vor dem Mauseloch, bis unten im klaren Wasser ein schöner, gutmütiger und sich sicher wähnender Fisch vorbei schwimmt. Dann stößt man blitzschnell mit einer Art Dreizack zu und hebt den zappelnden Kerl auf das Eis. Aber gelernt muß das sein! Man muß zustoßen können wie ein fallender Habicht, man muß genau zielen und den Fisch sofort durchbohren, sonst macht er eine schnelle Bewegung und taucht in die Tiefe.
Putkin entwickelte darin keine Meisterschaft, er war nicht schnell genug. Hier war ihm Andreas überlegen, der mit jedem Stich etwas aus dem Eisloch holte und mühelos das Mittagessen zusammenbrachte. Putkin beschränkte sich auf seine Schnüre, aber er tat es mit System. Im Laufe der Wochen hatten sie beide zehn Löcher in die Eisdecke gehackt … zwei große für Andreas' Dreizack, den er sich selbst aus einem Eisenrohr gehämmert hatte, und acht kleinere, in denen Tag für Tag Putkins Schnüre hingen mit kleinen Rentierstückchen als Köder.
Sieben Wochen Kampf mit dem Holz … er war nun gewonnen. Das Haus stand, hatte wirklich drei kleine Zimmer, eine Tür, die an Lederriemen hing, einen Ofen, der – wie Morotzkij gelehrt sagte – in seiner urbanen Kraft das Schönste sei, was er je an Ofen gesehen habe; es gab eine Eckbank, einen Tisch und Nägel in den Balken, an denen man endlich seine Kleider aufhängen konnte. Draußen waren sieben Rentierfelle aufgespannt, neun Schneehasenbälge pendelten im Wind, in der Vorratskammer, einem Iglu aus festgeklopftem Schnee, lagen Fleisch und Fisch, vom Frost konserviert. Der Winter war nicht mehr der tödliche Gegner, er war wieder zu einer Jahreszeit geworden, deren Ende man abwarten konnte.
»Nun ist das Haus begossen«, sagte Putkin, nachdem die Schnapsflasche halb geleert war. Morotzkij, der nie ein großer Trinker gewesen war, zeigte schon glasige Augen und grinste blöd. »Wer betritt es zuerst?«
»Sie, Igor Fillipowitsch«, sagte die Susskaja. »Sie haben den Wald besiegt.«
»Aber ich bin ein Junggeselle, schöne Dame. Zuviel Ehre für mich, so ein schönes Nest in Besitz zu nehmen. Andrej, Sie haben noch vieles vor, wie man weiß … gehen Sie zuerst.« Putkin hob die Flasche hoch und hielt sie gegen das fahle Tageslicht. »Ich erlaube mir als Gegenleistung, den Rest zu saufen.«
Andreas blickte Katja an. Sieben Wochen Arbeit hatten auch sein Gesicht geprägt. Sieben Wochen Kampf gegen diese gefrorenen Stämme hatten ihn verändert. Er sah jetzt aus wie ein kleinerer Bruder Putkins, ging wie dieser, hatte die gleichen, vom Baumharz gegerbten, schwarzbraunen schwieligen Hände und dachte oft schon wie Putkin nur an das unmittelbar Gegenwärtige.
»Bleibt es dabei?« fragte er leise.
Die Susskaja nickte. Ihr Lächeln hatte nichts von dem unwiderstehlichen Zauber verloren, aber es
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