Die Verdammten der Taiga
war fraulicher geworden.
»Es bleibt dabei, Andrejuscha.«
»Unser Haus?«
»Bis an unser Ende –«
Sie faßten sich an der Hand und gingen auf die Tür zu, die weit offen stand. Der Ofen brannte noch nicht, aber seine Brennkammer war mit trockenem Holz gefüllt und wartete auf das Feuer. Hinter ihnen begann Nadeshna zu singen, natürlich ein frommes Lied, und Putkin brüllte seltsamerweise nicht dazwischen und übertönte sie nicht mit schweinischen Versen. Auch Morotzkij sang, und das klang schauerlich, denn er hatte eine zwar laute Stimme, aber sie klang, als wenn man zwei Feilen aneinanderreibt.
An der Tür blieb Andreas stehen, hob Katja mit einem Schwung auf seine Arme und trug sie ins Haus hinein. Vor dem Ofen setzte er sie wieder ab, sie umarmten und küßten sich und fuhren erst auseinander, als Putkin mit wirklichem Zartgefühl Andreas das Knie in den Hintern stieß.
»Das Feuer, du romantischer Idiot!« knurrte er. Er hielt ein flammendes Holzscheit in der Hand und drückte es Katja in die zitternden Finger. »Das ist Ihre Arbeit, Katja Alexandrowna. Ein Ofen, der nie ausgeht, ist ewiges Leben. Man sagt das so, auch wenn es Quatsch ist.«
Er wandte sich ab und ging hinaus. Er schämte sich seiner Weichheit und Rührung, stapfte hinunter zu seinen Eislöchern und kontrollierte die Fischschnüre. Erst als aus dem Kamin der dichte Rauch quoll, Katja in der Tür erschien und ihm zuwinkte, warf er die gefangenen Fische über die Schulter und kam zurück.
Und noch etwas geschah an diesem Tag: Nadeshna hängte ein Gemälde auf.
Man sei darüber nicht so verwundert … Holzkohle hatte man genug, wenn das Feuer verglommen war, und ein Stück Leinwand konnte man sich aus einem Sack schneiden, der nach dem Einsatz der Werkzeuge im Wald leer geworden war. So hatte Nadeshna mit einer schönen Kohlezeichnung begonnen, ohne daß es die anderen – außer Morotzkij natürlich – merkten. Jetzt aber, zum Einzug in das neue Haus, heftete sie ihr Werk an die Wand neben der Eckbank, und Morotzkij reichte ihr die Nägel an, die sie einschlug.
Es war ein schönes Bild, ohne Zweifel. Nadeshna Iwanowna Abramowa war ein begabtes Mädchen, das zeigte sich jetzt. Wäre sie nicht Lehrerin geworden, hätte sie eine Zukunft als Malerin gehabt. Nur hatte das Bild – in dieser Umgebung vor allem – einen Fehler: Es zeigte das falsche Motiv.
Nadeshna hatte eine Madonna gemalt. Eine von Blumen umgebene, lächelnde, sanfte, sehr irdische und doch dem Himmel nahe Madonna.
Schweigend sahen die anderen zu, wie sie das Bild an die Wand heftete. Dann schielten sie alle wie auf ein Kommando zu Putkin. Betrachtete er es als persönliche Provokation, oder begriff er, daß in diesem Bild die ganze Sehnsucht einer in der Taiga gefangenen Seele steckte? Stürzte er sich auf das Bild, riß es von der Wand und zerstampfte es unter seinen klobigen Stiefeln? Oder tat er nur eins, was für Nadeshna noch schlimmer war: Trat er heran und bespuckte die Madonna?
Putkin zog das Kinn an und stierte auf das Bild. Morotzkij legte schützend den Arm um Nadeshna. Katja und Andreas suchten in Putkins Gesicht jenes verräterische Zucken, das immer einem Ausbruch vorauslief.
Aber nichts geschah. Putkin betrachtete das Bild, wiegte den Kopf hin und her und sagte dann ruhig: »Nadeshna, wo haben Sie das gesehen? Die Madonna hat links eine größere Brust als rechts!«
Sie hielten alle den Atem an, aber dann platzte das Lachen aus ihnen heraus wie eine Explosion. Sie bogen sich vor Lachen, die fürchterliche Spannung nicht nur dieser Stunde, sondern aller Wochen entlud sich in diesem brüllenden Gelächter. Es war fast schon hysterisch und an der Grenze des Irrsinns.
Aber es war nicht daran zu deuteln, es stimmte, was Putkin sagte: Nadeshnas Madonna hatte links eine größere Brust.
XIX.
Zufälle sind es meistens, die unser Leben bestimmen.
Das hört niemand gern, denn jeder will irgendwie und irgendwann sein Leben selbst geformt haben, aber wenn man's genau überlegt, waren es doch immer die nicht eingeplanten Dinge, die einen weitertrugen oder festhielten, in eine andere Richtung wiesen oder zur Umkehr zwangen. Genau betrachtet ist das Leben eines Menschen eine Anhäufung gelebter Zufälle. Zarte Gemüter nennen Zufälle poetisch Schicksal, religiöse bezeichnen so etwas als Gottes Fügung … was Igor Fillipowitsch Putkin an diesem Nachmittag auf dem Eis des noch unbekannten Flusses erlebte, konnte weder Schicksal sein, denn so hinterlistig ist
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