Die Verdammten der Taiga
Augen in diesem von Haaren überwucherten Gesicht waren von einem tiefen Blau. Verblüfft sah Andreas das zum erstenmal. Ein so klares Blau, daß er unwillkürlich zum Himmel blickte, ob es nicht eine Spiegelung sein könnte. Aber der Himmel war grau und trübe und voll von Schnee. Warum er nicht platzte, war ein Rätsel. »Das hat mir noch keiner gesagt.«
»Sie hatten alle Angst.«
»Und Sie haben keine Angst, Andrej?«
»Nein.«
»Aha! Aha! Warum nicht?«
»Ich bin glücklich, Putkin. Und es ist verdammt hart erobertes Glück … und es werden Monate kommen, in denen Katja und ich um dieses Glück kämpfen müssen. Ein ständiger Kampf gegen diese gewaltige Natur: gegen den Wald, den Fluß, den Himmel, die Tiere … gegen die Krankheiten, die uns befallen werden, und gegen die eigene Schwäche, doch noch aufzugeben. Wenn man das alles durchsteht, Putkin, aus Liebe durchsteht, wo bleibt da noch Platz für die Angst vor einem Monstrum wie Sie?«
»Andrej, Sie sind wirklich ein glücklicher Mensch.« Putkins Augen kamen näher. Ehe sich Andreas wehren konnte, fühlte er sich gepackt, an die breite Pelzbrust gezogen und spürte Putkins dicke Lippen auf seinen Wangen. Links, rechts, links … drei Bruderküsse, die schon mehr drei Schläge waren, so intensiv und kräftig demonstrierte Putkin seine Zärtlichkeit. »Sie haben Katja Alexandrowna –«, sagte er nach diesen gewaltigen Küssen. »Wenn ich Nadeshna, die Betschwester, wäre, würde ich sagen: Danken Sie Gott –«
Vom Feuer zog der würzige Duft des Hasenbratens herüber. Katja hämmerte noch immer an ihrem Ofenrohr. Der graue Himmel schwärzte sich von innen heraus. Es wurde Abend, und es würde in dieser Nacht wieder schneien. Der Himmel konnte die Last unmöglich länger halten.
»Ich trete auf meinen Magen –«, sagte Putkin. »Haben Sie jemals einen köstlicheren Duft eingesogen? Nadeshnas Hasenbraten, mit Thymian eingerieben. Ha, ich könnte sie aus Dankbarkeit notzüchtigen!« Er hielt Andreas fest, der weitergehen wollte, und zog ihn zurück. »Andrej, noch kein Wort zu den anderen. Laß es erst Frühling werden.«
Andreas nickte. Wann ist Frühling? dachte er. In fünf oder sechs Monaten. Wie sehen wir dann aus –
XVIII.
Das Haus wuchs schneller empor, als man berechnet hatte. Putkin und Andreas schufteten wie Maschinen, bei denen der Maschinist nicht mehr weiß, wie man sie abstellen kann. Die Bäume krachten zur Erde, riesige Berge Astwerk türmten sich rund um das Zelt, und Nadeshna bemühte sich wirklich, daraus Reisigbündel zu machen, sie zu trocknen und für Wochen Brennmaterial zu schichten. Sogar der eingeschiente Morotzkij half mit. Er schnitt, auf dem Rücken liegend und die Äste über sich ziehend, mit einem Messer, das Putkin an einem Stein scharf geschliffen hatte, lange Zweige ab und schichtete sie neben sich.
Die Schmerzen hatten nachgelassen, die Knochen begannen, wieder zusammenzuwachsen.
»Sie sind ein medizinisches Rätsel«, sagte die Susskaja einmal zu Morotzkij. »Ihre Knochen sind morsch wie bei einer Mumie, aber wenn sie gebrochen sind, produzieren sie genug Kallus, um sich wieder zu festigen. Das ist Unlogik in Ihrem Körper, Semjon Pawlowitsch. Wenn das so weitergeht, können Sie in sechs Wochen wieder stehen.«
Das Ofenrohr war ein Gebilde eigener Art geworden. Da sie weder löten noch nieten konnten, hatte Andreas ein paar Nägel geopfert und damit notdürftig die übereinandergebogenen Blechenden zusammengehalten. Bei einer Probe aber zeigte es sich, daß die ganze ›Naht‹ entlang der Rauch entwich und damit der Sinn eines Rauchabzuges nicht erreicht war.
»Weint nicht, Kinderchen«, sagte Putkin, als man um das der Länge nach qualmende Rohr hockte und überlegte. Er stellte einen Brei aus Erde und Gras her – wozu man erst einen Flecken Erde freischaufeln mußte – und schmierte damit die Naht des Rohres zu.
»Man muß es ab und zu erneuern«, sagte er dann. »Aber wir haben jetzt Zeit, uns etwas Geniales einfallen zu lassen.«
Der Ofen in dem Zelt, ein schöner, dicker Steinkranz mit flachen, breiten Steinen als Ofenplatte, erwies sich als ein wahrer Segen! Der Rauch zog tatsächlich durch das Rohr ab, es verbreitete sich eine herrliche Wärme, man konnte ohne die Pelze leben, ja, man zog sich bis aufs Hemd aus und genoß es, in einer überheizten Luft zu leben, während draußen die Bäume unter dem Frost aufbrachen und Stämme sich spalteten, als sei der Blitz in sie gefahren. Als zum
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