Die Verdammten der Taiga
Serikow vom Himmel zu holen. Vom KGB lief sogar der Befehl ein, ihn einfach abzuschießen, wenn er der Aufforderung, zu landen, nicht folgen würde.
General Lagutin sagte es ganz klar: »Dieser Skandal muß unter uns bleiben, Genossen. Waska Janisowitsch ist nervenkrank, das wissen wir jetzt. Ein Unglück in der Luft hilft uns allen. Lassen wir ihn verunglücken …«
Aber Serikow war nicht mehr zu finden. Nach einer halben Stunde Flug war er so listig, mitten im Wald zu landen, auf einem Stück Wiese, das jetzt ein schönes, weiches Schneefeld war, über das die Kufen glitten wie auf Watte. Er ließ das Flugzeug ausrollen, steuerte es an den Waldrand, sprang aus dem winzigen Cockpit, nahm die Axt, hieb eine Menge Tannenzweige ab und deckte damit die kleine Maschine zu. Wer sie jetzt noch aus der Luft sehen wollte, mußte nicht mehr mit menschlichen Augen sehen.
Und so ging es weiter nach Norden … immer in Sprüngen von einigen hundert Werst, immer wieder Verstecke unter Tannenzweigen, die Nächte im Wald an einem kleinen Lagerfeuer, nur so lange flammend, daß er Wasser für den Tee kochen und eine Dose Fleisch aufwärmen konnte, dann das unruhige Schlafen in einem wattierten Schlafsack auf dem Flugzeugsitz, den Kopf in einen Pelz gewickelt, von Katja träumend, die irgendwo dort oben in der einsamsten Taiga lebte, gefangen zwischen Millionen Baumstämmen, zum Tier degradiert, das Moose aß und rohes Fleisch.
Für Serikow war es sicher, daß Katja noch lebte.
Er hatte in den langen, einsamen Wochen seines Nichtstuns immer wieder vor seinem geistigen Auge die Situation wiederholt, die man nach der Entdeckung des Flugzeugwracks vorgefunden hatte: ein zerplatztes Flugzeug, aber keine Toten. Abmontierte Räder, keinerlei Werkzeug, leere Kartons, in denen früher Konserven verpackt gewesen waren. Das sah ganz danach aus, daß Überlebende sich auf den Weg gemacht hatten, die Taiga bis zur nächsten Siedlung zu durchziehen. Die Version der anderen Offiziere, hier hätten Jakuten alles mitgenommen, was sie gebrauchen konnten, und die Toten irgendwo verscharrt, um alle Spuren zu verwischen, nahm er wortlos hin, um seine eigenen Gedanken nicht zu verraten.
Fliegen wir zunächst zum Ausgangspunkt zurück, dachte Serikow, als er am fünften Tag den Wiljuj überflog und in der unendlichen Weite des Waldes die vereiste Marcha in der Sonne leuchten sah, ein bläuliches Band inmitten eines erstarrten Grüns. Sie werden nach Süden gezogen sein, sie haben sicherlich eine Karte bei sich … ich werde so dicht über die Bäume fliegen, daß ich ihr Winken nicht übersehen kann.
In Irkutsk traf aus Moskau wieder General Lagutin ein. Das Offizierskorps war vollständig versammelt, man hatte sogar die Urlauber und die Kranken herangeholt. Auch der kleine, dicke Teufel, der Oberst Bubnow, war mitgekommen, setzte sich einfach hinter den Tisch, der dem Kommandeur gehörte, musterte die Offiziere, als seien es Zuchtbullen, und sagte:
»Genossen, man kann nicht verstehen, wie man eine so langsame Maschine mit einem so schlechten Piloten wie dem General Serikow nicht finden kann. Es ist beschämend, wie unfähig man geworden ist! Der Frieden weicht alles auf, das ist eine Wahrheit, obgleich sie von einem Zaren stammt. Wie war es überhaupt möglich, daß Waska Janisowitsch so eingehende Vorbereitungen treffen konnte?«
»Er kam immer zum Schachspielen«, sagte der Luftflottenchef bedrückt. »Ein guter Spieler, ein blendender Taktiker, ein Genie am Brett.«
»Das hat er bewiesen –«, sagte Bubnow sarkastisch. »Er macht uns alle zu Hampelmännern! Gut. Sie haben gesucht, Genossen. In allen vier Winden, und nichts gefunden. Überlegen wir einmal: Was ging in Serikow vor? Er durchlöcherte das Bild einer Frau. Wer war diese Frau? Wir haben daran gedacht, die Personen zu überprüfen, die damals mit dem Flugzeug verschollen sind. Der Deutsche Andreas Herr … er war das zweite Bild, das Serikow zerschoß. Weil er ein Deutscher war, sagte er. Gibt es eine Verbindung zu der unbekannten Frau?« Bubnow blätterte in einem Schnellhefter. »Da war die Lehrerin Nadeshna Iwanowna Abramowa an Bord. Eine gute Kommunistin, bester Leumund, im Beruf fleißig, ein Mädchen ohne Vorleben, keine Liebschaften … streichen wir sie sofort. Dann Katharina Alexandrowna Susskaja. Ärztin. Chirurgin. Schulungsleiterin der Sektion III Suchana. Klinikerin, genial begabt, vorgesehen, einmal in die Akademie berufen zu werden. Eine Frau ohne Tadel.
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